Kritik zu Ein Gauner & Gentleman

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Bereits der Vorspann (»Auch diese Geschichte ist weitgehend wahr«) verweist auf »Butch Cassidy und Sundance Kid«: Unter der Regie von David Lowery blickt ­Robert Redford verschmitzt auf ­seine Leinwandkarriere ­zurück. Wenn dies tatsächlich sein ­Abschiedsfilm sein sollte, hat er eine gute Wahl getroffen

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Die Tischklingel am Bankschalter ist wichtig. Sie gehört, als dessen unverzichtbarer Auftakt, zum Ritual. Mit ihr macht Forrest Tucker sich bemerkbar. Zwar ist auch eine gewisse Unauffälligkeit essentiell bei dem Metier, das er ausübt. Dennoch macht seine elegante Erscheinung großen Eindruck. Der Schlag auf die Tischglocke läutet seinen Auftritt ein.

Forrest (Robert Redford) ist über sechzig. Als Bankräuber hat man in seinem Alter den Überraschungseffekt auf seiner Seite. Was könnte ein so höflicher, tadellos gekleideter Senior Böses im Schilde führen? Die Verbindlichkeit, mit der Forrest jeweils auf der Herausgabe des Geldes besteht, ist entwaffnend. Um überzeugend zu sein, müsste er die Pistole vielleicht gar nicht zücken; sie ist ohnehin nicht geladen. Eine der Weisheiten, die er in seinem Verbrecherleben gesammelt hat, lautet: Wenn du stilvoll gekleidet bist, merken die Leute sofort, dass du weißt, was du tust.

Der wahren Geschichte, die David Lowery in »Ein Gauner & Gentleman« erzählt, gebricht es nicht an Spektakulärem: Der Held dieses amerikanischen Schelmenromans verübte Hunderte von Banküberfällen und brach aus 16 Gefängnissen aus. Aber der Regisseur erzählt das ohne ein Übermaß an äußerer Dramatik. Ihn interessieren Forrests Verbrechen nur soweit, als sie eine Lebensweise bezeugen, eine Leidenschaft, die sich über Jahrzehnte erfüllt. Mit einer anmutigen inszenatorischen Geste stellt Lowery dies gleich zu Beginn klar: Als Forrest nach dem ersten Raub den Fluchtwagen wechselt, geschieht das im Off, während die Kamera ein paar spielenden Kindern folgt, bevor sie den Faden der Geschichte wieder aufnimmt. Ein Flair entspannter Vertraulichkeit entsteht aus dieser kurzen Abschweifung.

Redford ist ein, zwei Jahrzehnte zu alt für seine Rolle. Aber der Realismus ist nicht Lowerys schönste Sorge. Er weiß die andere Folklore Amerikas auf seiner Seite, die ungezähmten Existenzen, denen sein Star auch dann Redlichkeit verleihen konnte, wenn sie auf der falschen Seite des Gesetzes stattfanden. Der Film profitiert ungemein von Redfords Gabe, seinem Gegenüber das Privileg ungeteilter Aufmerksamkeit zu gewähren. Das spüren die Bankangestellten und Manager, die in seinen Bann geraten.

Auf einer Flucht lernt Forrest die Witwe Jewel (Sissy Spacek) kennen, deren kluge Unabhängigkeit ihn fasziniert. Lowery und seine Darsteller nehmen sich Zeit für diese Romanze. Sie entwickelt sich als ein Herantasten voller Zuversicht. Keiner muss befürchten, das Entscheidende zu spät zu sagen. Ihr Kuss auf der Türschwelle ist ein romantischer Vorstoß, er besiegelt noch nichts. Erst einmal nehmen sie ein tiefes Interesse an den Erfahrungen ihres Gegenüber, führen einen forschenden Dialog da­rüber, welche Dinge man in einem gewissen Alter ändern muss und welche so bleiben können, wie sie sind. Die Signatur, die der Erbauer ihres Hauses auf einer Wand hinterlassen hat, gehört zu Letzteren. Warum sollte sie eine Tapete darüberkleben? Diese Leben wollen eine unverwechselbare Handschrift tragen.

Zu der Anmutung von Intimität trägt bei, dass Lowery den Film auf 16mm gedreht hat; nicht nur, weil dieses Format aus der Zeit fällt. Seine Grobkörnigkeit verbindet sich zart mit den Altersflecken auf den Händen seiner Protagonisten; sein Kontrastreichtum, bei dem das Dunkel weich und warm wirkt, konzentriert den Blick auf die Gesichter. Dieses Flair gedämpfter Vertraulichkeit erstreckt sich auch auf die Szenen mit Forrests unaufgeregt hartnäckigem Verfolger, dem Cop John Hunt (Casey Affleck). Wie in »The Mule«, dem anderen aktuellen Film über die wahre Geschichte eines rüstigen Gesetzesbrechers, sucht der Held die Begegnung mit seinem jüngeren Widersacher. Er gibt sich ihm sogar zu erkennen. Auch dabei wird ein Pakt geschlossen: zwischen dem Gangster, der es nicht bedauern würde, von ihm verhaftet zu werden (ausbrechen kann er immer noch), und dem Polizisten, der es nicht bedauern würde, wenn dies ein anderer erledigte.

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