Kritik zu Ein einfacher Unfall

© MUBI

2025
Original-Titel: 
Yek tasadef sadeh
Filmstart in Deutschland: 
08.01.2026
V: 
L: 
104 Min
FSK: 
16

Schärfer denn je for­muliert Jafar Panahi Kritik am ­iranischen Regime und lässt seinen Film zwischen ­Rachethriller und absurdem ­Theater changieren

Bewertung: 4
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Vor drei Jahren kam es zur größten Protestwelle seit Gründung der Islamischen Republik Iran 1979 und in diesem Juni zum zwölftägigen Krieg mit Israel. Beides Gründe, so war zu lesen, dass das iranische Regime geschwächt sei und die Stimmung im Land zwischen Angst und Zuversicht schwanke. Das lässt sich auch im Kino ablesen, das immer offensiver und deutlicher seine Kritik formuliert. 

Bei den Filmfestspielen in Cannes, wo im vergangenen Jahr bereits Mohammad Rasoulofs »Die Saat des heiligen Feigenbaums« zu sehen war, gewann in diesem Jahr Jafar Panahis neues Werk »Ein einfacher Unfall«, seine bisher direkteste filmische Abrechnung mit dem Regime, die Goldene Palme. Nach Jahren des Berufsverbots und einer Gefängnisstrafe, aus der er nach fast sieben Monaten Haft infolge eines Hungerstreiks Anfang Februar 2023 freikam, konnte Panahi seinen Film persönlich präsentieren.

»Ein einfacher Unfall« beginnt mit ­einem Unfall. Eine Tochter wackelt zur Musik durchs Auto und bettelt die Eltern an, lauter zu machen. Dann ein Knall, ein toter Hund, dessen Irrweg über die Straße der Vater (Ebrahim Azizi) dem Allmächtigen in die Schuhe schiebt. »Das hat nichts mit Gott zu tun!«, mault die Kleine und ist dabei auch Stellvertreterin einer progressiveren weiblichen Zukunft.

Dann wechselt der Film in eine nahegelegene Werkstatt zu Mechaniker Vahid (Vahid Mobasseri), der seinen Ohren nicht traut: Handelt es ich bei dem Mann mit dem kaputten Auto um Eqbal, »das Holzbein«, seinen Peiniger, der ihn im Gefängnis gefoltert hat? Vahid hat Eqbal niemals selbst gesehen, meint ihn aber am Quietschen der Beinprothese zu erkennen. Von Rachegedanken getrieben entführt Vahid seinen vermeintlichen Peiniger und kontaktiert die Fotografin Shiva (Mariam Afshari), die die kurz vor der Hochzeit stehende Braut Golrokh (Hadis Pakbaten) und ihren Mann Ali (Majid Panahi) ablichtet. Beide Frauen und der später dazukommende Streithahn Hamid (Mohamad Ali Elyasmehr) wurden ebenfalls im Gefängnis von Eqbal gefoltert und sollen helfen, ihn zu identifizieren.

Panahi realisierte zuletzt heimlich fünf semifiktionale Filme, in denen er selbst mitspielte – darunter der gefeierte Berlinale-Gewinner »Taxi Teheran«, in dem er als Taxifahrer Menschen durch die Hauptstadt fährt, oder sein ruhig brodelndes Meisterwerk »No Bears«, das kritische Selbstbefragung, Regimekritik und mediale Reflexion zugleich ist und in Venedig in Zwangsabwesenheit des Regisseurs den Spezialpreis der Jury erhielt. Mit »Ein einfacher Unfall« kehrt er zum klassischeren Spielfilm und ganz hinter die Kamera zurück. Panahi verarbeitet Gespräche und Erfahrungen aus eigenen Gefängniserlebnissen zu einer Parabel über oppositionelle Strömungen im Umgang mit dem Terrorregime. Es geht um Schuld und Sühne und die Frage, ob man aus Rache töten oder doch Gnade walten lassen sollte. Darüber streitet die Schicksalsgemeinschaft in sich enervierend im Kreis drehenden Wortgefechten, während sie im Lieferwagen mitsamt dem in einer Kiste eingesperrten Peiniger durch die Stadt fährt.

Erneut zeichnet Panahi ein Bild der iranischen Gesellschaft. Er zeigt Frauen, die ohne Kopftuch durch die Straßen laufen und es dann doch schnell zur Hand haben, wenn Obrigkeiten im Anmarsch sind, oder verschiedene Menschen, die sich schmieren lassen. Letzteres wird zu einer Art Running Gag, geradezu herrlich dreist etwa die beiden Sicherheitskräfte, die, als niemand Bargeld zur Hand hat, kurzerhand ein Kartenlesegerät zücken. Ganz unversehens wird der Film vom vor Spannung berstenden Thriller zum absurden Theater, spätestens wenn die Truppe per Geburtshilfe im Krankenhaus landet und Dankesgebäck für die Krankenschwestern besorgt – ein ungewöhnlicher Modus angesichts des heftigen Themas und doch auch typisch für Panahi.

Mit Humor, der ihm hoffentlich nie abhandenkommt, erzählt Panahi von Menschlichkeit im Ausnahmezustand und lässt seinen Film mit einem Quietschen enden. Verheißt es Gutes oder Schlechtes? Für den Regisseur geht es ambivalent weiter. Ein einfacher Unfall ist Frankreichs Oscarkandidat, und er selbst wurde Anfang Dezember in Abwesenheit zu einem Jahr Gefängnis und zwei Jahren Ausreiseverbot verurteilt.

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