Kritik zu Die Nacht der Giraffe

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Das indonesische Filmmärchen, ein Wettbewerbsbeitrag der Berlinale von 2012, beobachtet die Odyssee eines ausgesetzten Mädchens zwischen Tier- und Menschenzoo

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Die dreijährige Lana wird von ihrem Vater aus unbekannten Gründen im Ragunan- Zoo von Jakarta ausgesetzt. Die Kleine bestaunt mit großen Augen Flusspferde, Tiger, und anderes Großwild. Und dann ist sie ein junges Mädchen, das im Zoo allerlei Hilfsarbeiten verrichtet und Besucher herumführt. Lana hat in dem Tierpark, wie andere verlorene Seelen der Großstadt, eine Zuflucht gefunden. Ihre menschliche Bezugsperson ist eine alte Tierpflegerin, doch eine innigere Beziehung hat Lana zu den Tieren, mit denen sie durch die Gitterstäbe kuschelt. Auf ihren nächtlichen Streifzügen zieht es diesen weiblichen Kaspar Hauser besonders zu einer einsamen Giraffe. Postcards from the Zoo ist der Film, der am diesjährigen Wettbewerb der Berlinale teilnahm, im Original betitelt. In den leicht surrealen, statischen Momentaufnahmen lässt sich Lanas Geschichte nur halbwegs erraten. Stattdessen zeigt Regisseur Edwin in der ersten Filmhälfte ein Paradies zwischen Natur und Traum, in dem das Kind und dann das Mädchen wie ein Geist umherstreift. Auf Du und Du mit der Giraffe: In langen, meditativen Einstellungen wird die traumwandlerisch durchs Gehege ziehende Menagerie beobachtet, aber auch die Familien, die in Bähnchen durch den Park chauffiert werden.

»Der Mensch ist ein Tier, das sich andere Tiere hält«, schrieb der Philosoph Hans Blumenberg. So wird die exotische Szenerie einer gezähmten Wildnis zur beziehungsreichen Kulisse einer Menschensehnsucht. Folgerichtig muss das Mädchen in den urbanen Menschendschungel überwechseln. Gelockt von einem jungen Zauberer im Cowboykostüm, der aus seinen Fingern rote Funken schlagen lässt, driftet Lana in einer recht vorhersehbaren Bewegung ins Halbweltmilieu und in einen Massagesalon. Der Film aus dem muslimischen Indonesien lässt den Zuschauer im Unklaren darüber, wie weit ihre sexuelle Dienstleistungen gehen. Klar ist nur, dass bei Lanas massierenden Berührungen Tier- und Männerwelt auf unsagbar traurige Weise korrespondieren. Doch meist erschließen sich die Parallelen zwischen Tier- und Menschenzoo eher dem Kunstwillen des Regisseurs als dem Zuschauer. Wenn Lana bei einer Begegnung mit einem Gangster »giraffisch« spricht, wenn sie sich also, wie der Gärtner in Willkommen Mr. Chance, nur in dem Vokabular eines Biologiebuchs ausdrücken kann, mit dem sie im Zoo das Verhalten ihres Lieblingstiers beschreibt, ist das weder witzig noch irgendwie für den weiteren Verlauf der Geschichte erhellend. So flüchtet sich Regisseur Edwin in bedeutungsschwangere Arthouse-Manierismen – vielleicht, weil er nicht weiß, wie er Lanas éducation sentimentale zu einem schlüssigen Ende bringen soll.

Ist es Zufall, dass nach den Madagascar- Zookomödien mit Life of Pi und Beasts of the Southern Wild in dieser Saison zwei weitere Filme anlaufen, in denen Menschen Tiere zur Projektionsfläche ihrer Bedürfnisse machen? Anders als die Helden dieser Filme bleibt Lana eine allegorische Figur und allzu verkunstete »Naive«: hübsch anzusehen in ihrer somnambulen Odyssee, doch vor allem das großäugige, passiv-weibliche Fantasiegebilde eines Regisseurs.

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