Kritik zu Die Farben der Zeit

© Studiocanal

Cédric Klapisch ist seit jeher fasziniert von der Idee der Gemeinschaft. Er liebt es, ihr Entstehen zu filmen; Familienbeziehungen und Seelenverwandtschaften sind zentral für sein Kino. In seinem neuen Film verleiht er dem einen frischen, epochenübergreifenden Dreh

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Als Adèle im Jahr 1895 mit der Fähre in Paris eintrifft – damals war es nicht ungewöhnlich, auf der Seine in die Metropole zu reisen –, schimmert der Eiffelturm rotbraun. Natürlich fasziniert dieser Anblick die junge Frau aus der Normandie, aber nach dem Anlegen des Schiffes eilt sie weiter: Sie will in Paris ihre Mutter finden, die sie nach der Geburt fortgegeben hat. Was sie selbstverständlich hinnimmt, verblüfft das heutige Publikum. In Fotografien aus jener Zeit sieht es so aus, als sei das Wahrzeichen der Stadt schwarz angestrichen!

130 Jahre später dreht der Fotograf und Videokünstler Seb einen Werbeclip in der Orangerie des Tuileriengartens. Den Hintergrund seiner Aufnahmen bilden die berühmten Seerosen von Claude Monet, die die Wände des Museums majestätisch ausfüllen. Allerdings fällt seinen Auftraggebern auf, dass sich die Farben des Gemäldes nicht gut mit dem Muster des Kostüms vertragen, das ein Model im Clip trägt. Ob er sie nicht digital nachbearbeiten kann? Seb stutzt für einen Moment, fügt sich dann aber ihrem Wunsch. Es ist die Eröffnungssequenz von Cédric Klapischs neuem Film. Und in ihr ist bereits ein sachter Argwohn angelegt, der Ursprünglichkeit und Authentizität betrifft. Die Bildproduktion wird ein hintergründiges Thema in »Die Farben der Zeit« sein.

Seb gehört einer Erbengemeinschaft an, die über das Schicksal eines Landhauses entscheiden soll, das eben jener Adèle gehörte, die sich in Paris Klarheit über ihre Herkunft verschaffen wollte. Sie umfasst gut 30 Personen, der Stammbaum verzweigt sich in drei Linien, aus denen eine beachtliche Diversität entstanden ist. Obwohl das Haus inmitten einer beschaulichen Landschaft steht, soll dort ein Supermarkt gebaut werden. Vier Vertreter der Erben sollen die Immobilie in Augenschein nehmen. Auf Drängen seines Onkels, bei dem er nach dem Tod der Eltern aufwuchs, reist Seb anfangs widerwillig mit in die Normandie. Das seit den 1940er Jahren verschlossene Haus entpuppt sich als eine wahre Schatztruhe. Es bezeugt ein ganzes Leben, hier finden sich Briefe, die mehr als ein Jahrhundert überdauert haben, auch Fotografien und vor allem ein Gemälde, das von einem Maler des Impressionismus stammen könnte.

Die Gruppe der Emissäre setzt sich aus lauter reizvollen Charakteren zusammen, darunter ein Imker, der Menschen gut lesen kann, und ein kunstsinniger Lehrer an der Schwelle zum Ruhestand. Aber Klapisch und sein bewährter Co-Autor Santiago Amigorena wählen Seb aus, der eigentlich stets in die Zukunft blickt, um eine Verbindung zur Vergangenheit herzustellen. Erschöpft von einem anstrengenden Drehtag, träumt er sich in Adèles Leben hinein. Fortan changiert der Film zwischen den Zeiten, bald trennt nicht einmal mehr ein Schnitt die Zeitebenen. Zwei Epochen begegnen sich, die stolz auf ihre Modernität sind. 

Adèle gerät nicht nur an zwei Verehrer, die den Streit zwischen Malerei und Fotografie austragen. Die Suche nach der Mutter mündet in die Suche nach ihrem Vater, die sie in das Künstler-Serail der Belle ­Époque führt. Monet, der Fotograf Nadar und Sarah Bernhardt treten auf. Das Drehbuch schlägt munter über die Stränge, schlägt auch die naheliegende Kapriole zur ersten Filmvorführung der Brüder Lumière. Das historische Namedropping (»Victor Hugo hat mich angemacht« ist schon für einen Lacher gut) spiegelt sich in einer prominenten Besetzung, der Klapisch freilich auch frische Darstellertemperamente gegenüberstellt.

Er hat einen konservativen Film gedreht, nicht nur im Sinne des Bewahrens eines ­Erbes. Der Fortschritt steht hier durchaus unter Generalverdacht. Aber Klapisch, dessen erzählerisches Harmoniebedürfnis reich an Vorzügen sein kann, konterkariert dies mit einer Schaulust, die weniger nostalgisch als dynamisch ist. Er hat Freude an den Spiegelreflexen der Epochen – aber vor allem an der Neugier und dem einnehmenden Gemeinsinn seiner Charaktere.

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