Kritik zu Das Leben ein Tanz

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Cédric Klapisch hat einen Kurzauftritt als Bühneninspizient und besiegelt damit seine Begeisterung für das Ballett, die sich unterschwellig in seinen Spiel- und explizit in seinen Dokumentarfilmen zeigt. In der Hauptrolle gibt Marion Barbeau, Primaballerina an der Opéra de Paris, ihr eindrucksvolles Kinodebüt

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Der rechte Knöchel ist ihre Schwachstelle. Schon einmal hat Élise sich bei einem Sprung verletzt. Ganz ausheilen ließ sie die Verstauchung damals nicht; eine junge Tänzerin wie sie ist ungeduldig. Und nun stürzt sie erneut, ausgerechnet in dem Moment, der ihr großer Triumph werden soll: der Solotanz am Ende von »La Bayadère«.

Als Tänzerin spürt Élise (Marion Barbeau), dass ihr Körper ausdrückt, was in ihrer Seele geschieht. Wenige Augenblicke zuvor hat sie in den Kulissen entdeckt, dass ihr Freund sie mit einer anderen betrügt. Jetzt stürzt ihre Welt zusammen. Es könnte Jahre dauern, bis der Bänderriss verheilt ist. Eine Balletttänzerin von 26 Jahren kann unmöglich so lange pausieren. Die Ärztin, die das MRT ihres Knöchels anschaut, mag ihr keine falschen Hoffnungen machen. Vielleicht wird Élise, die ihr ganzes Leben auf die Zuverlässigkeit ihres Körpers ausgerichtet hat, nie wieder einen Spitzentanz vollführen.

Das Motiv der verletzten Tänzerin, das gleichsam zur Folklore des Ballettfilms gehört, gibt eine immense Fallhöhe für Cédric Klapischs neuen Film vor. »En corps« heißt er im Original, womit einerseits Élises Körper als dessen Zentrum markiert wird. Zugleich weckt er Assoziationen zum Corps de ballet, also zur Zugehörigkeit. Lautmalerisch öffnet er noch eine weitere Deutungsmöglichkeit: »encore« – noch einmal. Klapisch wird auch das im Sinn gehabt haben: Er entwirft Szenarien der Zuversicht. Nach einer kurzen Frist der Sinnsuche schließt sich Élise einem befreundeten Paar an, das einen Foodtruck betreibt und nun eine Künstlerresidenz in der Bretagne mit Mahlzeiten versorgt; auch das eine Kunst, was Klapisch in einer schwungvollen Parallelmontage demonstriert. 

Hier trifft die Rekonvaleszentin auf die Compagnie von Hofesh Shechter (der sich selbst spielt und für die Choreographie, Musik sowie Koproduktion des Films zeichnet). Er ermutigt sie, an seinem Workshop teilzunehmen und bald auch, der Truppe beizutreten. Am Ende wird sich ein Kreis schließen, unter anderen künstlerischen und emotionalen Vorzeichen.

Klapisch meint es gut mit seiner Hauptfigur: Sie stammt aus einem Melo und findet sich in einer Komödie wieder. Er ist kein strenger Dramaturg – er mag keine Hindernisse, die nur den Konventionen geschuldet sind –, sondern ein Regisseur, der sein Figurenpersonal gern in eine gedeihliche Atmosphäre stellt. Zuweilen gewinnt man den Eindruck, ihm würde es schon genügen, sympathischen Leuten zuzuschauen, wie sie erfreuliche Dinge tun. Diesmal übertreibt er es etwas mit der entspannten Szenenführung. Die Ballung der Klischees ist kühn (malerische Sonnenuntergänge am Meer, der Zauber des nächtlichen Paris), aber sie trägt auch dem Umstand Rechnung, dass es in dieser Geschichte um Wunschträume und die Sehnsucht nach Schönheit geht. Hinter jedem seiner Filme scheint Klapischs Ehrgeiz auf, ein Generationenporträt zu zeichnen. Er ist ein entschieden populärer Auteur, der dem Publikum nicht schmeichelt, es aber offensiv sucht.

Seinem Thema nähert er sich als ein Regisseur der fruchtbaren Koexistenz. Den zeitgenössischen Tanz spielt er nicht gegen das klassische Ballett aus. Den altgedienten Exotismus der »Bayadère« rechnet er nicht auf gegen den aufgeklärten von Shechters »Political Mother«. Klapisch ist vielmehr neugierig auf die unterschiedlichen Codes, die in den zwei Disziplinen herrschen. Er erkundet die Ordnung, die hier strenger und dort freier ist, in der sich aber jeweils eine kollektive Energie Bahn bricht. Die Erfahrungen, die Klapisch in seinen Dokumentarfilmen über das Ballett der Opéra de Paris gesammelt hat, zahlen sich aus: Der Tanz braucht Raum, keine Montage. In ausgreifenden Plansequenzen betrachtet Kameramann Alexis Kavyrchine die Choreographien und bringt ihre Lebhaftigkeit feinnervig zur Geltung. Ballettszenen geraten auf der Leinwand oft zu Leerstellen der Virtuosität und Ehrfurcht. Klapisch jedoch nutzt sie, um von den Körpern der Tanzenden zu erzählen, also von ihren Erfahrungen, Ambitionen und Hoffnungen.

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