Kritik zu In der Nacht des 12.

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Ein rätselhafter Mord, gestresste Ermittler, eine Reihe von Verdächtigen und tiefe menschliche Abgründe: An Dominik Molls neuem Film deutet vieles auf einen Krimi nach bewährtem Muster hin, doch er unterläuft die Erwartungen souverän

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Das Verbrechen ist so bizarr wie grauenerregend. In der Nacht des 12. Oktober in einem kleinen Ort in der französischen Alpenregion verlässt ein Mädchen eine Party. Sie kommt nur ein paar Straßen weit, da steht plötzlich ein Mann vor ihr, übergießt sie mit einer Flüssigkeit und zündet, ehe sie versteht, was geschieht, ein Feuerzeug. Sie geht in Flammen auf.

»In der Nacht des 12.« nimmt einen wahren Fall sowie ein Buch von Pauline Guéna über den Alltag in einer Kripo-Abteilung zum Ausgangspunkt einer so akribischen wie packenden Schilderung von Mordermittlungen. Zugleich reflektiert er die Beziehung der ermittelnden Beamten zu ihren Fällen. Jeder Kriminalbeamte stoße irgendwann auf ein Verbrechen, das ihn nicht mehr loslässt, das er um jeden Preis lösen will, heißt es. 

Dass wir hier nicht der alltäglichen Krimikost beiwohnen, wird bereits in den ersten Minuten erkennbar: Als am Morgen nach der Tat der Tatort untersucht wird, tragen nicht nur die Kollegen von der Spurensicherung Schutzkleidung bis über die Nase, auch die Kommissare verschwinden in weißen Larven. Auch das so ungeliebte wie notwendige Verfassen ausführlicher Protokolle und die Frage nach dem Umgang mit Überstunden (Antwort: Gar nicht erst aufschreiben) werden beiläufig angesprochen. Zugleich erzeugt die Inszenierung mit ihrer Aufmerksamkeit für Details und den klaren, kontrollierten Bildern eine faszinierende Atmosphäre. Die subtile, stellenweise mit sakralen Anklängen spielende Musik von Olivier Marguerit vertieft noch die eigenwillige Gestimmtheit des Films. 

Dominik Moll und Gilles Marchand – letzterer seit den frühen Erfolgen »Harry meint es gut mit dir« und »Lemming« Molls Co-Autor – schildern die Ermittlungen mit einer Genauigkeit und Geduld, die jener der Kommissare der Mordkommission ­Grenoble vergleichbar ist: Bastien Bouillon ist großartig als ehrgeiziger neuer Abteilungsleiter, dessen Sensibilität hinter der professionellen Coolness jederzeit sichtbar ist, nicht minder überzeugend spielt Bouli Lanners seinen Partner Marceau, knorrig und frustriert, von Eheproblemen geplagt. Sie und ihre Kollegen nehmen sich eine ganze Reihe von Verdächtigen vor, lauter junge Männer, mit denen die tote Clara sexuelle Kontakte hatte. Sie treffen auf verschiedene Typen, die sich doch seltsam ähnlich sind in ihrer Gleichgültigkeit und Kälte. Wie geriet die allseits beliebte Clara in solche Beziehungen, an einen Pseudo-Gangsta-Rapper mit Songs voller Frauenverachtung, einen albern kichernden Klettertrainer, einen vorbestraften egomanen Schläger? Beweise allerdings finden die Kommissare gegen keinen dieser Männer. Vielmehr werden sie auf grundsätzlichere Fragen zurückgeworfen. In einer Schlüsselszene fragt Claras beste Freundin Nanie den ermittelnden Yohan aufgebracht und unter Tränen, wieso er ständig nur wissen wolle, mit wem Clara noch geschlafen habe. Ob es darum ginge, ihr selbst eine Mitschuld an ihrem Tod zu geben? »Zwischen Männern und Frauen stimmt etwas nicht«, konstatiert Yohan irgendwann. Männer ermorden Frauen, und dann sind es wieder Männer, die jene Männer finden sollen. 

Höchst bemerkenswert und konsequent ist, wie trotz zweier männlicher Haupt- und Identifikationsfiguren, deren emotionale Mitgenommenheit bis hin zur Obsession sehr glaubhaft erzählt wird, die eindrucksvollsten Figuren des Films weiblich sind: von der erwähnten Nanie über Claras Mutter, deren Schmerz so knapp wie herzzerreißend dargestellt wird, bis zu jener entschlossenen Staatsanwältin, die nach einem plötzlichen Zeitsprung von drei Jahren die Ermittlungen wieder aufnehmen lässt. Dies führt »In der Nacht des 12.« noch einmal zu einem spannenden Wendepunkt. Es geht in diesem eigenwilligen, zutiefst melancholischen – am Ende jedoch nicht nur düsteren – Film noir nicht zuletzt auch darum, mit schrecklichen Fragen und ohne Antworten zu leben.

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