Kritik zu Der Mann, der seine Haut verkaufte

© eksystent Filmverleih

Die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania verwebt in ihrem auf dem Filmfestival von Venedig 2020 ausgezeichneten Film Kritik an Kunstmarkt und europäischer Migrationspolitik zu einer Satire, die bewusst ambivalent bleibt und visuell überzeugt

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Die Welt ist schlecht, die Kunstwelt ist noch schlechter. Dieses elitäre System vorzuführen, kann selbst für die ganz Großen der Zunft böse nach hinten losgehen. Als beispielsweise Banksy sein »The Girl with Balloon« für 1,2 Millionen Pfund versteigern ließ und zum blanken Entsetzen aller Anwesenden durch einen im Rahmen verstecken Schredder jagte, wollte der Street Artist damit ein Zeichen gegen Kunstkommerz setzen. Stattdessen steigerte die Aktion den Wert des Werks aber um das Sechsfache, und es wurde weiterverkauft. Dumm gelaufen.

Die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania versucht, diese Realsatire zu toppen. Ihre Geschichte ist von einer Aktion des belgischen Konzeptkünstlers Wim Delvoye inspiriert: Delvoye tätowierte 2006 den Rücken des Schweizers Tim Steiner und verkaufte das Motiv an einen privaten Sammler. Steiner wurde selbstredend nicht gehäutet (das passiert erst nach seinem Tod), aber dazu verpflichtet, mehrere Wochen pro Jahr verfügbar zu sein, um das Werk auf seinem Rücken öffentlich auszustellen. 

Für »Der Mann, der seine Haut verkaufte« verwebt die Regisseurin diese Begebenheit mit dem Krieg in Syrien und den Fallstricken der europäischen Migrationspolitik. Der von dort geflüchtete Sam steckt in Beirut fest und will um jeden Preis nach Brüssel zu seiner Ex-Verlobten Abeer. Die Chancen für ein Visum sind aussichtslos, als ihm der Künstler Jeffrey Godefroi einen Deal anbietet. Er will Sam das formatfüllende Abbild eines Schengen-Visums auf den Rücken tätowieren und ihn so zu einem Kunstobjekt machen. »Waren zirkulieren in dieser Welt leichter als Menschen«, bemerkt Godefroi lakonisch, und Sam willigt ein.

Von hier an wäre es leicht gewesen, die Kunstwelt wie gewohnt zu persiflieren, ergänzt um die menschenunwürdige Nuance, dass buchstäblich Kapital aus der Not eines Geflüchteten geschöpft wird. Tatsächlich entpuppt sich Sam bald als äußerst eigensinniges Artefakt, das sich alles andere als widerstandslos in seinen Objektstatus fügt. Ein zorniger junger Mann, der ein Ritter in strahlender Rüstung sein will, um die Frau, die er liebt, zu retten – und sich doch in Scharmützeln verzettelt, die ihm ein kurzfristiges Gefühl von Macht geben. Yahya Mahayni gelingt es, Sam einen Panzer aus protziger und impulsiver Sturheit anzulegen, unter dem Ohnmacht und Hilflosigkeit trotzdem erkennbar bleiben. Bei den Filmfestspielen in Venedig 2020 wurde er dafür mit dem Orrizonti-Preis als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. 

Auch der restliche Cast kostet diese Ambivalenz aus. Bis zum Schluss winden sich ­Koen De Bouw als Künstler mit diabolischem Charme und Monica Bellucci als seine manipulative Assistentin aus der Rolle der Antagonisten heraus. Allein die von Dea Liane gespielte Abeer wirkt wie ein zwar atemberaubend schönes, aber allzu passives Opfer der Umstände, was der Liebesgeschichte als Motor der Handlung stellenweise den nötigen Drive nimmt. Der Film verweigert sich so einer einfachen Lesart. Über die von Bildgestalter Christopher Aoun kunstvoll arrangierten Einstellungen legt sich der Zweifel, wer hier eigentlich wen benutzt. Wenn Sam vor einer Menschenmenge posiert, von zwei großformatigen Gemälden gerahmt ist oder im Lichtkegel wie eine antike Vase drapiert wird, exponiert ihn der Film doppelt: vor den Blicken der Museumsbesucher:innen und vor unseren eigenen. 

Der ganz große Wurf einer ätzend beißenden Satire ist »Der Mann, der seine Haut verkaufte« nicht. Die Absicht, Kunst und Krieg zu verbinden und in ein und derselben Geschichte der Lächerlichkeit preiszugeben und somit anzuprangern geht nur teilweise auf. Der bewusste Verzicht auf den moralischen Zeigefinger zugunsten von Zwischentönen und eine wohldosierte Prise Humor machen Ben Hanias Film aber zu einer gelungenen Satire um einen herrlich widerborstigen Helden.

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Schöne Kritik - kleine Anmerkung: Monica Bellucci spielt nicht die Assistentin, sondern die Galeristin.

Grüße Susanne

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