Kritik zu Der Hochstapler – Roofman

© Leonine Distribution

Derek Cianfrance erzählt die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte eines sympathischen Räubers, voller Melancholie und feinem Humor

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In seinem tiefsten Inneren hält sich Jeffrey Manchester für einen von den Guten. Auch wenn er nachts übers Dach in McDonald's-Filialen einsteigt und sie um den Tagesumsatz in kleinen, grünen Dollarscheinen erleichtert. Und wenn er dabei maskiert und bewaffnet auf die Frühschicht trifft, spricht er sie mit ihren Vornamen an, die er auf ihren Uniformschildern abliest, und bittet sie höflich, ihre Winterjacken anzuziehen, bevor er sie im Kühllager einschließt. Dem Teamleiter, der was Wärmeres zum Anziehen vergessen hat, überlässt er selbstlos seine eigene Jacke. »An der Stelle fragen Sie sich hoffentlich, wie ein netter Typ wie ich zum Kriminellen wurde«, richtet er sich als Erzähler seiner eigenen Geschichte ans Publikum, während er den Tresor ausräumt.

In dieser ersten Szene von »Der Hochstapler - Roofman« steckt vieles von dem, was Derek Cianfrance an dieser auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte interessiert: nicht der Nervenkitzel der Delikte, sondern die Restwärme und das Mitgefühl eines Menschen, der längst aus der sozialen Bahn geschleudert wurde. Jeffrey (Channing Tatum), der Ex-Soldat, hat eine Familie gegründet, aber nie so richtig Fuß gefasst in der Zivilgesellschaft und der freien Marktwirtschaft. Zum Geburtstag seiner kleinen Tochter überreicht er ihr einen alten Erector-Spielzeugbaukasten aus seiner Kindheit, weil er sich kein geeignetes Geschenk leisten kann. Tapfer versucht Becky (Alissa Marie Pearson), sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

Cianfrance, der in »Blue Valentine« und »The Place Beyond the Pines« die Grenzbereiche von Liebe, Schuld und Überleben auslotete, erzählt in seinem ersten Film seit neun Jahren die Geschichte des »höflichen Räubers« als leise funkelnde Tragikomödie eines Mannes, der versucht, wieder ins Leben zurückzufinden, und sich dafür die denkbar schlechtesten Wege aussucht. Immer wieder sind es Läden der Fast-Food-Kette, in die er einbricht. 44 Mal geht es gut, dann wird Jeffrey erwischt, zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Aus dem Knast gelingt ihm, mit stoischer Bauernschläue vorbereitet, die Flucht und er versteckt sich, wo es wochenlang niemand vermutet: in einer riesigen Toys-"R"-Us-Filiale. In einem Hohlraum hinter Regalen baut er sich einen Unterschlupf aus Produkten des Sortiments, sein privates Paradies im Plastikland. Hier verbringt er die Tage mucksmäuschenstill, oft schlafend, und wird nach Ladenschluss aktiv, um sich von Süßigkeiten und Babyfood zu ernähren. Schnell überlistet er das Kamerasystem und beobachtet auf einem kleinen Monitor die Mitarbeitenden, den misanthropen Filialleiter Mitch (Peter Dinklage) und vor allem die alleinerziehende Leigh (Kirsten Dunst), die gutmütig versucht, über die Runden zu kommen. Jeffrey will ihr helfen und findet bald Mittel und Wege (und eine falsche Identität), sich ihr zu nähern. Wie das geschieht, ist kaum zu glauben, doch schon der Satz im Vorspann hat versichert: »This is a true story.«

Die erzählt der Film leicht melancholisch, bisweilen sogar heiter. Tatum spielt diesen Jeffrey als einen Mann, der sich auch emotional in einem absurden Zwischenraum eingerichtet hat, zu charmant, um ein klassischer Bösewicht zu sein, zu gebrochen, um Held zu bleiben. Und der trotzdem versucht, im falschen Leben mit ein bisschen Würde zu bestehen. Tatums Mischung aus Schalk und tiefer Müdigkeit trägt den Film. Warum Jeffrey zum Räuber wird, bleibt letztlich vage: Ein Hauch von posttraumatischer Störung, ökonomische Verzweiflung, eine desolate Ehe, vieles deutet der Film an, ohne es wirklich zu entfalten. Doch selbst wenn er als Psychogramm unvollständig bleibt, überzeugt er als Stimmungsbild, gerade weil er die Verzweiflung seines Protagonisten nicht pathologisiert. Cianfrance erzählt es als sanftes Märchen über Einsamkeit und Verzweiflung inmitten einer grellbunten Konsumwelt. Dass das funktioniert, liegt auch an der Besetzung, die riskant am Kitsch und Klischee vorbeischrammende Szenen immer wieder erdet und mit emotionalen Ambivalenzen zum Schillern bringt.

Der echte Jeffrey Manchester wurde 2004 zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt. Zwei erneute Fluchtversuche sind seitdem gescheitert. Cianfrance endet sein wohlwollendes Porträt eines Gescheiterten mit alten Medienberichten und Aussagen von Menschen, die ihm begegnet sind. Niemand verliert dabei ein schlechtes Wort.

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