Kritik zu Das zweite Leben des Monsieur Alain

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2018
Original-Titel: 
Un homme pressé
Filmstart in Deutschland: 
22.08.2019
V: 
L: 
100 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Der Generaldirektor eines Automobilkonzerns muss nach einem Schlaganfall ­erkennen, dass sein Leben neue Prioritäten braucht

Bewertung: 3
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Seine Handschrift ähnelt nun der eines Kindes. Die Wörter setzt er aus großen Buchstaben zusammen. Allmählich füllen sich die Seiten seines Notizbuchs. Seit Alain Wapler, Generaldirektor eines Automobilkonzerns, seinen zweiten Schlaganfall erlitten hat, findet er sich nicht mehr so ganz zurecht in der Welt. Er muss sich Adressen, Namen und Aufgaben notieren. Er braucht ein Logbuch für das, was der deutsche Verleihtitel sein zweites Leben nennt.

Kennenlernen wir Alain (Fabrice Luchini) als einen Menschen in höchster Eile. Sein Arbeitstag beginnt um halb sechs. Das ist zwar eine Tortur, aber ein Auftakt. Einer wie er kann wohl nur kurz angebunden sein: zu seiner Zugehfrau, zum Chauffeur, den Angestellten und seiner Tochter Julia (Rebecca Marder). Seinen Hund würdigt er keines Blickes. Es liegt etwas Verächtliches in seiner Hast. Von Anfang an können wir uns also der Gewissheit anvertrauen, dass ihm das Leben eine gehörige Lektion erteilen wird: Dieser Mann muss lernen, sich zu bedanken.

Den Schlaganfall inszeniert Hervé Mimran eher tragikomisch, gleichsam en passant. Vor allem ist Alains Sprachzentrum betroffen. Er redet Unfug ohne Unterlass, verwechselt munter die Konsonanten; auf die Vokale ist mehr Verlass. Das ist für einen so wortverliebten Schauspieler wie Luchini eine prächtige Steilvorlage. Darüber hinaus mag er seiner Figur wenig Anzeichen von Gebrechlichkeit geben. Im Krankenhaus gerät Alain in die Obhut der patenten Logopädin Jeanne (Leila Bekhti). Natürlich will der mächtige Patron sich zunächst gar nicht aus seinem alten Leben verabschieden. Jeanne soll ihm helfen, weiterhin darin zu bestehen. Sie begleitet ihn als Coach für den nächsten Autosalon, auf dem er den Prototyp der neuen Elektrolimousine präsentieren soll. Als der Aufsichtsrat ihn schasst, antwortet Alain zunächst nicht mehr auf ihre Anrufe. Erst einmal muss er wieder für sich selbst Verwendung finden.

Sobald es seinen Helden wachgerüttelt hat aus seiner falschen Existenz, gibt sich Mimrans Drehbuch verblüffend spannungslos. Es stellt seiner Erholung ein paar lässliche Hindernisse in den Weg, schürt kleine Konflikte. Aber eigentlich ziehen alle an einem Strang. Das ist nachlässig konstruiert; wer ein Plädoyer für die Lebensbejahung halten will, schaut nicht immer so genau hin. Mithin findet der Film für die psychologischen Probleme, die er aufwirft, rhythmische Lösungen. Auch in dem Danach gönnt er Alain kaum Zeit zu stiller Einsicht. Seine Läuterung soll dynamisch sein. Er bleibt weiterhin in Bewegung, entdeckt aber die Vorzüge der Entschleunigung. Dieser Film versteht es, vor sich hin zu plätschern.

Einmal, auf der Arbeitsagentur, begegnet Alain kurz dem Mann, auf dessen Geschichte seine beruht: Christian Streiff, dem ehemaligen Chef von Airbus und Citroen, der feststellen durfte, dass sein Leben durch den Schlaganfall letztlich bereichert und freier wurde. Das war zehn Jahre her, als der Film in Frankreich anlief. Heute fühlt sich Streiff komplett genesen. Aber das Notizbuch hat er immer noch bei sich.

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