Kritik zu Courage

© Rise And Shine Cinema

Der Belarusse Aliaksei Paluyan dokumentiert die friedlichen Proteste des vergangenen Sommers in seiner Heimat – als politisches Zeitdokument und künstlerische Auseinandersetzung

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Da ist diese eine Einstellung in Aliaksei Paluyans »Courage«, die den Ton des Films verändert. Es ist jene Nacht im August vergangenen Jahres nach der manipulierten Wahl von Präsident Alexander Lukaschenko. Die Nacht, als die Menschen noch hofften, dass er seine Niederlage anerkennen würde, das Land auf dem Weg zu einer Demokratie einen Schritt weitergekommen sei. Dann müssen die Demonstranten den martialischen Menschenketten der Spezialeinheiten weichen, fliehen vor aufrollenden Panzern, Wasserwerfern, Blendgranaten. Das Kamerabild wackelt, irrt durch die aufgeheizte Dunkelheit, bis es erlischt.

In seinem ersten abendfüllenden Film hat Paluyan, 1989 in Belarus geboren, die Wochen des friedlichen Protestes in seiner Heimat dokumentiert und begleitet dafür die drei Schauspieler Maryna Yakubovich, Pavel Haradnizky und Denis Tarasenka. Er zeigt, wie die besonne Maryna mit Kleinkind in der Plattenbauwohnung frühstückt, um dann zu Theaterproben aufzubrechen, lässt den jungen, mutigen Pavel ein Liedchen auf dem Klavier spielen und beobachtet Denis, wie er konzentriert in einer Kfz-Werkstatt ein Auto poliert. Schon vor Jahren hat er das Theater verlassen, um seine Familie zu schützen. »Ich habe die Kunst verraten«, sagt er ganz zu Beginn. Maryna und Pavel spielen noch an dem kleinen Belarus Free Theater. Per Skype leiten die im Exil lebenden Regisseure die Proben der politischen, dokumentarischen Stücke, in denen es um Repressionen und Unterdrückung von Andersdenkenden geht.

Als ein sehr persönliches Porträt dieser drei belarussischen Künstler beginnt Paluyan seine Dokumentation. Dann kommt der Moment, als das Kamerabild erlischt. Fortan sind es die wogenden Massen, die bedrohlichen Polizeiaufmärsche, die im Sommer vergangenen Jahres die riesigen Plätze von Minsk beherrschten. »Tritt ab! Tritt ab«, rufen die in weiß-rote Fahnen gehüllten und Blumen schwenkenden Demonstranten. Stundenlang wartet Paluyan mit seinem Team mit den vielen verzweifelten Menschen vor dem Untersuchungsgefängnis, verharrt mit der Kamera auf den Gesichtern der Mütter und Väter, Frauen und Männer, Kinder, Freundinnen, ängstlich wartend, ob ihre Angehörigen durch das Tor in die Freiheit treten werden.

Paluyans Film ist ein Zeitdokument. Zugleich ist es eine Auseinandersetzung mit der Frage, was Kunst, Kultur, Theater in einer Diktatur leisten können. Paluyan selbst kam 2012 zum Regiestudium nach Kassel und ist geblieben. Im Film spricht Maryan mit ihrem Mann darüber, welche Welt sie ihrem kleinen Sohn bereiten will, Denis scheint pragmatisch resigniert. Pavel ist der Unerschrockenste. Im August 2020 sind sie alle noch voller Hoffnung. »Lukaschenko wird bald nicht mehr sein«, sagt der Regisseur aus dem fernen London. Dann kam die Zäsur. Sie zwang Maryan, Denis und Pavel wie so viele andere Künstler ins Exil. Der Optimismus der friedlichen Massen ist erstickt. Umso wichtiger ist »Courage«.

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