Kritik zu Cheyenne – This Must Be the Place

© Delphi

2011
Original-Titel: 
Cheyenne – This Must Be the Place
Filmstart in Deutschland: 
10.11.2011
L: 
118 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Holocaust und Popmusik: Paolo Sorrentino versucht sich an einer gewagten Konfrontation und bringt dank Sean Penn einen der bizarrsten Filme des laufenden Kinojahrs hervor

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Das Gesicht ist eine Maske: weiß gepuderte, faltige Haut, die schwarzen Haare zu einem Vogelnest toupiert und zum Abschluss noch tiefroten Lippenstift aufgetragen. Cheyenne ist ein trauriger Clown. Seine Maske ist Fassade und Pose zugleich. Sie verweist einerseits auf Robert Smith, den Sänger von The Cure. Unweigerlich blickt aber auch Sean Penn aus diesem Gesicht heraus, der sich die Figur des Cheyenne buchstäblich mit Haut und Haaren angeeignet hat. Ein Schauspieler hat die Aufgabe, in seiner Rolle zu verschwinden. Der Star dagegen muss zwangsläufig aus ihr heraustreten, um seinen Status kenntlich zu machen: mit Stargesten und der Signatur seines Stils, der die Starpersona prägt. Sean Penn gehört zu der Sorte Schauspieler, die einen Film mit ihrer Präsenz erdrücken können. Wer weiß, ob This Must Be the Place ohne ihn nicht ein besserer Film geworden wäre.

Cheyenne ist ein abgewrackter Rockstar, der zurückgezogen in seiner Villa in Irland lebt. Ein Schicksalsschlag hat seine Karriere beendet, doch mutmaßlich haben auch Drogen ihren Teil dazu beigetragen. Cheyenne ist tatterig wie ein Greis. Sein ersticktes Glucksen, das wohl ein Lachen simulieren soll, ist ebenso wie die ausdruckslose Miene, wenn er sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht pustet, einer dieser Ticks von Penn, die der Figur so etwas wie Charakter verleihen sollen. Doch Cheyenne scheint fast nur aus Ticks zu bestehen, so dass man sich bald fragt, was den Zuschauer an diesem Menschen, dessen Musik im Film nicht einmal zu hören ist, überhaupt interessieren soll. Seine Frau (Frances McDormand) behandelt ihn wie ein Kind, eine verwandte Seele findet er in einem Goth-Mädchen aus der Nachbarschaft. Leben kommt in die entsetzlich bedrückende Lethargie, als Cheyenne die Nachricht vom Tod seines Vaters erhält, der vor langer Zeit den Kontakt zum Sohn abgebrochen hat. Er erfährt, dass der Vater, ein Auschwitz-Überlebender, sein ganzes Leben der Jagd nach seinem Peiniger gewidmet hatte. In Amerika angekommen, reift im infantilen Cheyenne der Gedanke, das Werk seines Vaters zu vollenden.

Im Presseheft erzählt Sorrentino, dass er die zwei denkbar gegensätzlichsten Komplexe des 20. Jahrhunderts in einem Film gegenüberstellen wollte: den Holocaust und »etwas Frivoles« wie die Popmusik. Aber der Versuch bleibt auch beim Westentaschen-Adorniten Sorrentino nur eine Geste, die nicht über die Verklärung der eigenen Chuzpe hinausweist. Weder die Nationalsozialismusthematik noch die Popmusik kommen in This Must Be the Place zu ihrem Recht. Sorrentino lässt seinen Film in das bequeme Genre der Selbstfindung, das Roadmovie, ausgleiten. (Was fällt einem Europäer auch schon Besseres ein, wenn er das erste Mal in Amerika drehen darf?) Die wohlfeile Provokation, eine erbärmliche Existenz an der Tragödie des Holocaust wiederaufrichten zu wollen, versagt spätestens immer dann, wenn Penn mit brüchigem Falsett zum Sprechen ansetzt. Sorrentino entlarvt sich am Ende selbst, wenn der geläuterte Cheyenne ohne sein Bühnenoutfit, als Sean Penn sozusagen, seine alte Straße hinunterläuft. Es geht um die Produktion von Stargesten und -bildern.

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