Kritik zu Angelo

© Grandfilm

Marcus Schleinzer verfilmt den wahren Fall des »Hofmohren« Angelo Soliman als Parabel auf die lange Tradition raffinierter Ausgrenzung

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Anfang des 18. Jahrhunderts wird ein aus Afrika verschleppter Zehnjähriger von einer Comtesse als exotisches Studienobjekt auserkoren, auf den Namen Angelo getauft und mit europäischer Bildung bedacht. Als domestiziertes, kostbar gekleidetes Kuriosum von Adelshaus zu Adelshaus herumgereicht, ist Angelo im Erwachsenenalter scheinbar Teil der Gesellschaft, darf am Hof an Kartenspielen teilnehmen oder Adlige bei Ausflügen in die Natur begleiten. Er kann sich frei bewegen, doch seine persönlichen Freiheiten sind stark eingeschränkt. Als er heiratet, verstößt er damit, aller beginnenden Aufklärung zum Trotz, gegen höfische Moral.

Das elliptisch erzählte Historiendrama von Markus Schleinzer (»Michael«) basiert auf der Lebensgeschichte von Angelo Soliman, der im Wien des 18. Jahrhunderts als fürstlicher »Hofmohr« in höchsten Kreisen verkehrte, Erzieher von Prinz ­Alois I. von Liechtenstein und Gesellschafter Kaiser Josef II. war und es damit zu Lebzeiten zu einiger Berühmtheit brachte. So thematisiert der Film auch, wie Angelo, zu dem Zeitpunkt Chef der Dienerschaft von Fürst Wenzel von Liechtenstein, ohne dessen Wissen die verwitwete Magdalena Christiani heiratete und daraufhin fristlos entlassen wurde (»Glaubt er jetzt vielleicht schon, er ist ich?«, entrüstet sich der Adlige im Film). Jahre später rehabilitiert, wird Angelo Soliman in eine Wiener Freimaurerloge aufgenommen, nach seinem Tod 1796 werden seine sterblichen Überreste jedoch nicht bestattet, sondern Kopf und Körperhülle werden mumifiziert und als halbnackter »Wilder« neben Tierpräparaten in einer Afrikakulisse des Kaiserlichen Naturalienkabinetts ausgestellt. Erst Jahrzehnte später setzt während des Oktober­aufstands 1848 ein Brand dem Spuk ein Ende. Es ist auch das fulminante Schlusszeichen des Films.

Schleinzer verzichtet in seiner parabelhaften Rekonstruktion auf psychologisierende Klischees konventioneller Biopics, inszeniert hochartifizielle tableaux vivants konsequent im klassischen 4:3-Academy-Format, das die Enge und Ausweglosigkeit Angelos betont, der, zugleich privilegiert und untertan, zur personifizierten Projektionsfläche für die Begehrlichkeiten und Xenophobien der höfischen Gesellschaft wird. Zugleich gelingt ihm das Porträt einer hochkomplexen Persönlichkeit, die gegen alle Widerstände eine Eigenständigkeit entwickelt. Mit erstaunlich opulentem Minimalismus, der aus klug ausgestatteten Räumen (Andreas Sobotka, Martin Reiter) und teils modern gebrochenen Kostümen (Hausner) eine überhöhte, theatrale Welt erschafft, die in ihrer Gratwanderung aus Strenge und Exzentrik weniger an Österreichs Kostümfilmtradition à la »Sissi« als an Peter Greenaway erinnert. Zugleich schafft Schleinzer mit einem reflektierten, dichten Drehbuch voll mehrdeutiger Dialoge einen hochpolitischen Kommentar, der Themen von Identität, Migration und Kolonialismus verhandelt, die heute noch immer oder erneut relevant sind. Am Diskurs des »Anderen«, an Alltagsrassismen und scheinheiliger Toleranz hat sich wenig geändert.

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