Kritik zu Anduni – Fremde Heimat

© Filmlichter

2011
Original-Titel: 
Anduni – Fremde Heimat
Filmstart in Deutschland: 
01.12.2011
L: 
91 Min
FSK: 
keine Beschränkung

Auf der Suche nach dem Ort, der verbindet, was nicht verbunden ist: Das Regiedebüt von Samira Radsi handelt von der tragikomischen Suche einer jungen Deutscharmenierin nach ihren Wurzeln

Bewertung: 3
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Manchmal vergisst man, dass Armenien wirklich existiert. Man ist versucht, es nur für einen verlorenen Sehnsuchtsort zu halten und den Ararat für eine Chiffre der Heimatlosigkeit. Das Schicksal der Armenier, so glaubt man, erfüllt sich in der Diaspora und nicht darin, tatsächlich einen eigenen Staat zu haben.

Der Völkermord von 1915 und die Unterdrückung der Armenier in der Türkei werfen ihre Schatten auch über diesen eigentlich heiteren Film. Sein Titel verweist auf eine armenische Liedtradition, die vom Leid derer kündet, die ihre Heimat verlassen mussten. Die Diaspora, von der er erzählt, liegt in Köln. Seit 40 Jahren lebt die Familie, die er ins Zentrum rückt, hier. Nie ist einer von ihnen je zurückgekehrt. Aber an der alten Lebensweise hält die Familie fest. Belindas Tante bemüht sich hartnäckig, sie mit einem der Ihren zu verkuppeln. Als sie sich dagegen wehrt, sagt die Tante zur Erwiderung den schönen, traurigen Satz: »Wir sind nicht mehr so viele.«

Allem Anschein nach handelt Belindas Geschichte jedoch von einer gelungenen Ablösung, vom Ankommen der zweiten Generation. Sie ist entschlossen, ein anderes Leben zu führen als die Frauen in ihrer Familie, die immer einverstanden sein mussten mit dem, was ist. Ihre Mutter spricht nach all den Jahren noch immer kein Deutsch, Belinda hingegen studiert Literaturwissenschaften. Dass sie mit ihrem Freund Manuel zusammenzieht, muss die Familie zwar nicht gleich erfahren; ein Grund zum Bruch würde diese Eröffnung aber wohl nicht sein. Als ihr trunksüchtiger Vater stirbt, beweint sie ihn nicht. Mit einem Mal wieder engen Kontakt mit der weitverzweigten Verwandtschaft zu haben, löst jedoch eine sachte, schleichende Veränderung in ihr aus. Allmählich erscheint ihr die Familie nicht mehr als etwas, dem man um jeden Preis entkommen muss, sondern als etwas, das seine eigene Mythologie besitzt. Eine ungekannte Neugierde für ihre Wurzeln ergreift von ihr Besitz. Dieses unverhoffte, widerspenstige Gefühl der Zugehörigkeit droht, sie Manuel zu entfremden.

Samira Radsis Anduni ist ein erstaunlich großzügiges Spielfilmdebüt; ihre bisherige Arbeit an Daily Soaps wird die Regisseurin darauf nicht vorbereitet haben. Sie und die Drehbuchautorin Karin Kaçi erweisen allen Lebensauffassungen, die hier aufeinanderprallen, Respekt. Sie lassen gegensätzliche Perspektiven gleichermaßen gelten: Auf jeden Vorwurf folgt eine triftige Erwiderung. Drehbuch und Schnitt spielen achtsam mit der Korrespondenz von Gefühlen, Motiven und Requisiten. Ihre schönste Sorge ist es, das vermeintlich Unvereinbare, die Sphären, zwischen denen Belindas Leben zerrissen ist, zusammenzuführen.

Am Ende begibt sie sich auf die Suche, die ihr Vater aufgegeben hatte. Mit Tante und Onkel bricht sie auf zu dem Ort, der verbindet, was nicht verbunden ist. In Armenien verändert sich der Blick der Kamera. Er weitet sich nun zu Totalen, die sich beeindruckt, nicht aber überwältigt zeigen von der Monumentalität der Architektur Yerevans und der Erhabenheit der Natur. Dort, in der verlorenen Heimat, spricht die Tante ihren zweitschönsten Dialogsatz: »Ich war noch nie so weit von zu Hause weg.«

Meinung zum Thema

Kommentare

es ware wuenschenswert, solche Filme oefter zu wiederholen und angemessene Werbung dafuer zu machen, weil wir alle sowieso viel zu wenig ueber unserte Immigranten wissen

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