Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

© Filmgalerie 451

In seinem ersten Dokumentarfilm folgt Albert Serra (»Pacifiction«) dem berühmten Torero Andrés Roca Rey. Ohne Kommentar von außen wird daraus ein immersives Erlebnis, das absichtlich zwiespältige Eindrücke hinterlässt

Bewertung: 3
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Zuerst ein nicht identifizierbares Geräusch zwischen Metallklappern und Fauchen. Im Dunkel die gewaltigen Hörner eines Stiers. Dann sitzen einige Männer gestaffelt vor der Kamera in einem großen Auto oder kleinen Bus. Ein junger Mann leicht dezentriert ganz vorn trägt über Schlips und geschlossenem weißem Hemdkragen ein auffällig brokatgeschmücktes Stück. Er ist der Torero Andrés Roca Rey, der als junger Mann aus Peru in die spanischen Arenen fand und zum Star wurde. Nun ist er etwa zehn Jahre im Geschäft und die Hauptperson des ersten Dokumentarfilms von Albert Serra, der sich vor seinem letzten großen Festivalerfolg mit »Pacifiction« 2022 vor allem mit minimalistischen Annäherungen an historische Figuren wie Casanova, Don Quijote oder »Ludwig XIV.« einen Namen machte.

Auch der Stierkampf ist ein von kulturellen Traditionen überschriebenes und oft zitiertes Konzept – siehe »Carmen« oder Ernest Hemingways 1932 erschienenen Essay »Death in the Afternoon«, der Serra wohl zum Titel inspirierte. Formal minimalistisch ist Serras Ansatz auch hier, es gibt nur diegetische Musik, kein künstliches Licht und eine Kamera, die in sensualistischer Nähe den Helden auf ihren Wegen – also Roca Rey im Auto und im Hotel oder in der Arena auch dem Stier – folgt. Inhaltlich geht es für beide ums Ganze: nämlich darum, möglichst heil wieder aus der Arena herauszukommen. Dabei hat der Stier statistisch wie praktisch schlechte Karten, denn im gesetzten Setting sind neben dem Torero noch andere Menschen auf sein Leben angesetzt, die ihn mit Lanzen schwächen, bevor es zum letzten großen Todesstoß durch den Torero kommt.

Auch in diesem Film sterben einige Stiere und werden tot (oder schlimmer: tödlich verletzt) an Seilen aus der Arena geschleppt, während Roca Rey behandelbare Wunden davonträgt. Wenn der Torero in der Arena mit wedelndem Tuch sein »Toro, he, he, he« schreit, erinnert der konzentrierte Gesichtsausdruck an die Schnute von Donald Trump. Kleidung und Bewegungen des Matadors sind oft fast feminin: Wenn er im Hotelzimmer zum Amulett aus weißen Perlen und den rosa Kniestrümpfen sein Traje de luces überzieht, könnte er auch ein Travestietänzer sein. Doch die Männer um ihn herum (man weiß nie genau, wer sie sind, überhaupt gibt es keine Art von Hintergrundinformation) beschwören »Cojones«.

Drei Jahre hat Serra während vierzehn Corridas gedreht, zwei Jahre saß er an der Montage. Und rückt der Film in der Arena zuerst die Tänzchen des Matadors für die Formnote in den Fokus, geraten im späteren Verlauf immer stärker die tierischen Opfer ins Blickfeld. (Un-)heimlicher Hauptakteur ist aber das im Bild nie zu sehende Publikum, das in der von Serra mit großer Sorgfalt gestalteten Tonspur mit seiner hörbaren Begeisterung für das mörderische Tun für verstörende Resonanzen sorgt. So ist der Film, der beim Festival in San Sebastian letztes Jahr die Goldene Muschel gewann, in der Haltung gegenüber dem in Serras Heimat Katalonien 2020 abgeschafften Spektakel eindeutig. Für empfindsame Gemüter dürfte das Zuschauen gerade deswegen eine Tortur sein.

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt