Kritik zu Elser

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Der ganz gewöhnliche Faschismus oder 13 Minuten, die die Welt verändert hätten: Oliver Hirschbiegel hat nach einem Drehbuch von Fred und Léonie-Claire Breinersdorfer das Leben – und Sterben – des Hitler-Attentäters Georg Elser verfilmt

Bewertung: 4
Leserbewertung
3.25
3.3 (Stimmen: 4)

»Er hätte die Welt verändert«, lautet der Untertitel zu Oliver Hirschbiegels Film, und in diesem Fall liegt in der großmauligen Ankündigung mal keine Übertreibung. Georg Elser hätte die Welt verändert, wenn sein Attentat auf Hitler am 8. November 1939 gelungen wäre. Die Bombe, die an diesem Abend im Münchner Bürgerbräukeller hochging, hätte zusammen mit Adolf Hitler fast die gesamte Nazi-Führung in den Tod gerissen. Es fehlte eine Kleinigkeit von 13 Minuten – gegen den ursprünglichen Plan nämlich hatten Hitler und seine Entourage den Bürgerbräukeller früher als vorgesehen verlassen. Man weiß natürlich nicht, wie die Welt ausgesehen hätte, wenn das Attentat wie beabsichtigt abgelaufen wäre. Vielleicht wäre ja gar nichts besser geworden, vielleicht wäre es dennoch zum großen Krieg gekommen, und wenn nicht, womöglich hätte sich der Faschismus in Deutschland über das Jahr 1945 hinaus an der Macht gehalten ... Davon abgesehen: Allein schon der Reiz, der von der Vorstellung eines alternativen historischen Verlaufs ausgeht, hätte dem Bombenleger Elser eigentlich einen hohen Bekanntheitsgrad, wenn nicht gar Weltruhm sichern müssen. Trotzdem ist sein Name in Deutschland kaum geläufig; seine Motive galten die längste Zeit als dubios. International ist er ein nahezu Unbekannter.

Oliver Hirschbiegels Elser trägt für den Weltmarkt denn auch den Titel 13 Minuten, wie um diesen spekulativen Thrilleraspekt der Geschichte zu betonen. Für Deutschland aber bürgt der auf den Namen beschränkte Originaltitel für das Anliegen sowohl des Regisseurs Hirschbiegel als auch der Drehbuchautoren Fred und Léonie-Claire Breinersdorfer, nämlich Georg Elser als Person mit seinem Werdegang und seinen Motiven bekannt zu machen und ihn damit endlich gebührend zu würdigen.

Der Film beginnt im Thrillermodus mit den »Schicksalsmomenten« seiner Hauptfigur. Man sieht, wie Elser, gespielt vom Magdeburger Schauspieler Christian Friedel, in heimlicher Nachtarbeit im Bürgerbräukeller den Sprengstoff in Stellung bringt. Seine blutigen Finger und sein schwerer Atem belegen die Mühsal der Vorbereitung. Dann zeigt der Film, wie Elser festgenommen wird, als er versucht, in die Schweiz zu gelangen – am Abend des 8. November, an dem zugleich seine mit Zeitzünder gesetzte Bombe in München hochgeht – besagte 13 Minuten zu spät, um noch Hitler zu erwischen, der wegen schlechten Wetters vom Flugzeug auf die Bahn nach Berlin ausweichen musste und deshalb seine Rede verkürzt hatte. Was Elser bei seiner Verhaftung bei sich hatte, machte es offenbar einfach, ihn mit der Bombe in Verbindung zu bringen.

Als Attentäter überführt, wurde Elser mit »verschärften« Mitteln verhört, weil man es für unmöglich hielt, dass er allein gehandelt habe. Von den Grausamkeiten des Verhörs weg blendet der Film in amerikanischer Biopic-Tradition zurück zu Szenen, die vorstellen, woher dieser Elser kam und was ihn dazu getrieben hat, im Alleingang ein Attentat auf Hitler zu planen. Erzählt wird von den 30er Jahren, die Elser im Wesentlichen in seiner Heimat Königsbronn am Ostende der Schwäbischen Alb verbracht hat. Es ist die Geschichte eines charmanten Querkopfes, der mit den Kommunisten sympathisiert, als die sich noch jungenhaft-harmlos mit den Nazis der Gegend prügeln. Elser hält sich abseits, auch als nach der Machtergreifung mit Verfolgung und Ausgrenzung ernst gemacht wird. Wie aus Dorfnachbarn Feinde werden und kleine Kinder, gestärkt durch Uniformen, sich zum höhnischen Mob wandeln – das alles zeigt Elser als seltene Form des Heimatfilms: als Geschichte des »ganz gewöhnlichen Faschismus«.

Hirschbiegels wohl bekanntester Film Der Untergang war geprägt von einer auch unguten Form der Faszination für sein Thema. In Elser aber gelingt Hirschbiegel sehr viel mehr. Der Film entlarvt mit dem Werdegang seiner Hauptperson auch den deutschen Lieblingsmythos, von wegen man habe nichts gewusst. Wie Elser, der aus einfachsten Verhältnissen stammte, hätte jeder mitbekommen können, dass Kommunisten verhaftet und Juden ausgegrenzt wurden und auch, dass Deutschland in großem Stil Aufrüstung betrieb. Mit entsprechend verächtlichem Stolz besteht Elser gegenüber seinen Verhörern auf seiner Alleintäterschaft, weil, so lässt ihn das Drehbuch sagen: »Sie werden lachen. Es hätte auch keiner mitgemacht.« So wird Elser nicht zuletzt dank des hervorragenden Spiels von Christian Friedel zu einer faszinierenden, vieldeutigen Figur, über die man noch weit mehr erfahren möchte.

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Meinung zum Thema

Kommentare

Meiner Meinung nach ist die Freigabe FSK 12 für diesen Film einfach unglaublich. Ich mit meinen 21 Jahren konnte den Film kaum aushalten. Einige der Zuschauer (deutlich älter als ich) sind nach den ersten Folterszenen gegangen. Natürlich ist die Zeit in der der Film spielt eine grausame gewesen, dennoch finde ich, dass die Folterungen zu deutlich und in übetriebener Länge dargestellt werden. Schon gar nicht sollten Jugendliche ab 12 diesen Film sehen.

Hirschbiegel verweist auf Edward Snowden als aktuelles Beispiel für die von Elser verkörperte Zivilcourage und Weitsicht. Die ZDF-Filmkritik wiegelt dies als "Scheinaktualisierung" ab und zeigt damit bestens, wie nötig dieser Film ist. Besonders frappierend: Elser wird von Nazi-Bonzen Arroganz vorgeworfen, die Vermessenheit alleine entscheiden zu wollen, dass falsch ist, was ein ganzer Apparat für richtig hält.Genauso redet in einer Doku der NSA-Boss gegen Snowden.

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