Berlinale Series: »M – Eine Stadt sucht einen Mörder«

Rot wie Blut und weiß wie Schnee
»M – Eine Stadt sucht einen Mörder« (Serie, 2018). © Pertramer/Pichler / Superfilm

Joseph Goebbels war hingerissen, nachdem er Fritz Langs »M – Eine Stadt sucht einen Mörder« gesehen hatte: »Fabelhaft! Gegen die Humanitätsduselei. Für Todesstrafe! Gut gemacht. Lang wird einmal unser Regisseur.« Eine krasse Fehleinschätzung. Der schwarzweiße Tonfilm aus dem Jahr 1931 wurde verboten, als die Nazis an der Macht waren; Lang verließ Deutschland. Heute gilt »M« als einer der besten und wichtigsten Filme überhaupt.

Goebbels dürfte sich in der Geschichte vom Mädchenmörder, der eine Großstadt in Ausnahmezustand versetzt, aber tatsächlich wiedergefunden haben. Lang bringt einen hysterischen Bürgermob und eine um ihre Geschäfte besorgte Gangsterbande auf die Leinwand, die den von Peter Lorre mit verstörender Kindlichkeit gespielten Serienkiller glatt »ausmerzen« wollen – die präfaschistische Stimmung im Land, die politische Agenda der Nazis werden hier vorgeführt, in warnender Absicht.

Der österreichische Regisseur und Schriftsteller David Schalko hatte ein gutes Gespür, als er vor fünf Jahren den Film wiedersah und beschloss, eine Adaption zu drehen. Sein »M«, konzipiert als sechsteilige Miniserie, vorgestellt in der Berlinale-Sektion »Series«, verlegt die Thrillerhandlung ins Wien der Jetztzeit und findet jede Menge Anknüpfungspunkte: Fremdenhass, soziale Zerklüftung, die von Fake-News befeuerte populistische Politik der österreichischen Regierungskoalition. Gab es unter Langs Ganoven einen, der in Aufmachung und Habitus an Goebbels denken ließ (gespielt von Gustaf Gründgens), so personifiziert sich die aktuelle Misere in der Figur eines schuftigen »Innenministers« von schlanker Statur und geschmeidiger Frisur. Nein, Sebastian Kurz sei natürlich nicht gemeint, meinte Schalko nach der Premiere der ersten beiden »M«-Folgen im Berliner Zoo-Palast.

Was ihn an »M« angezogen hat, ist das Konzept: dass »die Stadt der Protagonist ist und es keinen zentralen Charakter gibt«. Das ist der Grund, warum der kompakte, oft mit Auslassungen arbeitende Originalfilm überhaupt eine Serie hergibt. Schalko hat »M« nicht nachgedreht, sondern mit seiner Ko-Autorin Evi Romen zu einem irrwitzig detailreichen, satirischen, auch kolportagehaften Gesellschaftspanorama mit 130 Darstellern – darunter Udo Kier, Lars Eidinger, Bela B. – und einer Menge Nebensträngen erweitert.

Sittenbild also – das kann der Mann. Schalkos Provinz-Groteske »Braunschlag« um eine Gemeinde, der eine fingierte Marienerscheinung Einnahmen und allerhand Skandale beschert, ist Kult; mit dem Nachfolger »Altes Geld« hat er sich an die Wiener Bourgeoisie herangerobbt. »M« legt noch einiges drauf. Neben dem charakteristischen Wortwitz, den deftigen Charakterzeichnungen und schwarzhumorigen Einfällen gibt es hier viel fürs Auge. Stilisierte, winterlich verträumte Altstadtviertel – Wien als Schneekugel –, nächtliche Flussfahrten, dynamische Montage, expressive Farbdramaturgie. David Lynch schließlich lässt grüßen, wenn alte Hausflure in höllischem Braunrot erglühen oder das Gesicht eines toten Mädchen überglitzert erscheint wie das von Laura Palmer in der Ausnahmeserie »Twin Peaks«.

Und wer ist jetzt Peter Lorre? Wer ist »M«, dieser furchtbare, bewusstlose, ängstliche, getriebene Mörder, der zu einer filmischen Ikone wurde? Die ersten Episoden enthüllen ihn nicht. Und so schön durchtrieben wie diese Serie angelegt ist, könnte es sein, dass es ihn gar nicht gibt. Am Ende ist »M« vielleicht eher eine Chiffre: für die Paranoia in uns allen, für die sozialpsychologische Verelendung nicht nur der österreichischen Gesellschaft.

Die Serie wird vom ORF ab 17.2. in Doppelfolgen ausgestrahlt; am 1. März erscheint sie auf DVD und Blu-ray.

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