Magic Moments

Im Nachhinein scheint es völlig ausgeschlossen, dass das Ganze auch hätte schief gehen können. Heute, wo Film und Song längst Evergreen sind, kommt uns das Gelingen unausweichlich vor: Wer kann schon so viel charmanter Unbekümmertheit widerstehen?

Dabei war es alles andere als sicher, ob "Raindrops keep falling on my head" 1969 als Intermezzo in »Butch Cassidy and The Sundance Kid« funktionierten würde. George Roy Hill machte sich jedenfalls ziemliche Sorgen, ob diese Wette zu gewinnen sei, denn die Fahrrad-Episode war ohnehin ein waghalsiger Einfall: eine lyrische Parenthese, in der die Geschichte für ein paar Minuten still steht. Eine rechte Nouvelle-Vague-Idee, wenn man es genau bedenkt; Vergleichbares hatte es nicht einmal in »Bonnie & Clyde« zwei Jahre zuvor gegeben. Und dann noch einen vergnügten Song einspielen, mitten in einem Western? Aber Burt Bacharachs fesche Melodie und Hal Davids pfiffig lebensbejahender Text kamen dem Publikum auf eine Weise entgegen, wie es dies im Kino bis dahin noch nie erlebt hatte. Während der Film seinen Siegeszug an den Kinokassen antrat, feierten sie mit dem Song ihren größten Hit: Zwei Millionen verkaufte Singles allein innerhalb des ersten halben Jahres - und dabei war B.J. Thomas nicht einmal ein besonders begnadeter Interpret ihres Stils.

Natürlich kam Burt Bacharach um das Stück nicht herum, als er am letzten Samstag im Berliner Admiralspalast auftrat. Erst versteckte er es fast in einem Medley seiner bekanntesten Filmsongs. Aber so dezent durfte er mit diesem Pfund nicht wuchern. Am Ende fungierte »Raindrops« als triumphales Da Capo, als Rausschmeißer mit gebührlicher Publikumsbeteiligung. Es ist wohl der Bacharach-David-Song, auf den sich alle einigen können – wohl sogar noch stärker als auf "What the World needs now", der ein ebenso triumphaler Auftakt des Konzerts gewesen war. Es fing nicht nur mit einem Hochgefühl an und klang damit aus, auch zwischendurch erlahmte die Magie nicht. Bacharachs Bereitschaft und Gabe, das Publikum zu beglücken, sind einzigartig. Der Abend stand im Zeichen eines Gefühls, von dem fast alle seiner Songs handeln: Liebe. Umso mehr freuten wir uns, als wir am Montag eine kleine Presseschau veranstalteten und feststellen durften, dass es den meisten Kritikern ebenso ergangen war. Natürlich klang aus ein, zwei Texten noch eine gewisse Gönnerhaftigkeit gegenüber Easy Listening. Aber den guten (der schönste stammt meines Erachtens von Harry Nutt; Sie finden ihn bestimmt im Onlineauftritt der "Frankfurter Rundschau", bereits der Auftaktsatz ist genial) war anzumerken, dass diese Musik sie auf je eigene Weise persönlich betraf.

Als Bacharach für »Butch Cassidy« gleich zwei Oscars gewann (in der Kategorie Beste Filmmusik schlug er immerhin Georges Delerue, Ernest Gold, John Williams und Jerry Fielding), war das ein unerhörter Schock für Hollywoods gestandene Filmkomponisten. Es musste ihnen vorkommen wie der endgültige Ausverkauf ihrer Kunst an den Pop. Das munter vielstimmige "South American Getaway", das die bolivianischen Eskapaden der Bankräuber begleitet, war vielleicht sogar noch ein größerer Affront, mit seiner übersprudelnden, wortlosen Fröhlichkeit, die allerdings quecksilbrig in Melancholie umschlagen kann. Bacharachs Score hat Eigensinn. Er lässt Epoche und Schauplätze nonchalant hinter sich zurück. Gewiss, er behält Erzählton und Handlung im Blick, aber nicht im Sinne eines akzentuierenden Rückhalts, sondern vielmehr als eine gut gelaunte Phantasie über den Film selbst. Er baut keine Brücke zwischen Historie und Gegenwart, sondern zwischen Gegenwart und Zeitgeist.

Eine Karriere wie die von Bacharach konnte im letzten Jahrhundert wohl nur in den 60ern an Fahrt aufnehmen. Er lieferte gewissermaßen den Schwanengesang zum Great American Songbook, er tritt in die Lücke, die Cole Porter, George Gershwin, Harold Arlen und Jerome Kern hinterlassen hatten (Richard Rodgers komponierte zwar noch weiter, aber leider im Gespann mit Oscar Hammerstein und nicht mehr mit Lorenz Hart). Zunächst wurde er nicht als deren legitimer Erbe angesehen – sein Stil wirkt zu entspannt, leichtfüßig und anschmiegsam. Wir sind stets geneigt, Verführer zu unterschätzen. In seinem Fall half es ein wenig, auf den Einfluss von Maurice Ravel und Darius Milhaud hinzuweisen. Aber schon damals müssen Interpreten und Kritiker bemerkt haben, wie kompliziert die Rhythmen bei ihm sein können, wie flink die Tempiwechsel und wie schwierig die Akkorde. Einige Songs sind dreiminütige Melodramen, die mehr als nur Pathos verlangen.

Die 60er, eigentlich schon die 50er, waren eine enorme Wasserscheide. Das Teenagerpublikum war gerade erfunden worden und gab den Ton an. Frank Sinatra und Tony Bennett waren verunsichert, ob sie den Anschluss zur neuen Generation schafften. Beat und Rock setzten alle Gewissheiten außer Kraft. Während des Konzerts erzählte Bacharach, wie er daran scheiterte, einen Rock 'n Roll Song zu schreiben und wie schwer sich Manfred Manns Earth Band dann mit "My little Red Book" taten. Bacharach spielt ihn trotzdem, ohne Koketterie (sympathischerweise hat er, an diesem eigentlich den Erfolgen gewidmeten Abend, zuvor schon einen Flop aus der Schublade geholt - "Mexican Divorce", mit dem die Drifters Schiffbruch erlitten, weil die Radiostationen in den Südstaaten keine Titel spielten, die von Scheidung handelten), aber tatsächlich ist der Song schmissig und funktioniert verflixt gut in "What's new, Pussycat", einem der ersten Scores, den er fürs Kino komponierte.

Seine Verbindung zum Kino war fast von Anfang an ungeheuer eng. Er verstand, was Glamour ist. Er war mit Marlene Dietrich auf Tournee gewesen und mit Angie Dickinson verheiratet, ein echtes Traumpaar mit traurigem Schicksal, und sah selbst wie ein Filmstar aus. In den 60ern schrieb er viele Songs, die in Vor- oder Abspannen auftauchen, um Attraktivität und Ausstrahlung vor allem von Komödien zu mehren. Die haben die Jahrzehnte besser überstanden. Aus " A House is not a home“, „Wives and lovers“ und vielen anderen erinnert man tatsächlich nur seine Titellieder. (Im Gegenzug kommt „The Man who shot Liberty Valance“ bei John Ford gar nicht vor.) Bis „Butch Cassidy“ ist, mit Ausnahme von „Alfie – Der Verführer lässt schön grüßen“, keiner der Filme seiner Mühe wirklich wert. Er verlieh dem Unerheblichen Elan und Raffinement. „The Look of love“ ist das einzige, was ich an „Casino Royale“ verteidigen würde. „Arthur's Theme (Best that you can do)“ galt 1981 als sein Comeback und vielleicht bin ich ungerecht gegenüber Dudley Moore, aber mir geht „If you get caught between the moon and New York City“ entschieden häufiger durch den Kopf als irgendeine seiner Dialogpointen. 

Die ImdB verzeichnet derzeit 600 Filme, in denen Musik von ihm auftaucht. Ein Song von ihm ist immer eine sichere Bank. Einige Regisseure setzen sie wirklich kreativ ein, Paul Mazursky („Bob, Carol, Ted & Alice“) und Christian Petzold („Toter Mann) beispielsweise „What the world needs now“; „Die Hochzeit meines besten Freundes“ ist ein wahres Bacharach-Festival. Die „Austin-Powers“-Filme wären ohne ihn undenkbar, im zweiten und dritten tritt er auch sehr elegant, beschwingt und cool auf. Sein Sound der 60er hat sich eine ungeheure Frische bewahrt. Davon kann er bis heute zehren. Allein schon die Film- und TV-Tantiemen (wo es übrigens erhebliche Unterschiede gibt: Das Fernsehen konnte sich Bacharach leisten bei „Toter Mann“, aber die Kinorechte hätten das zu erwartende Einspiel weit überschritten) müssen ihn zu einem unermesslich reichen Mann gemacht haben.

Warum also unterzieht er sich immer noch (und letzthin häufiger) den Strapazen einer Tournee? Vor zwei Monaten ist er 90 geworden, er geht etwas schief; wie er seinen rechten Arm hält, lässt vermuten, dass er vor einiger Zeit einen Schlaganfall hatte. Das schränkt seine Beweglichkeit an den Tasten und auf der Bühne nicht ein. Zweieinhalb Stunden dauerte das Konzert. Dabei trug er zwar die meisten Songs seinem hinreißenden Gesangstrio Josie James, Jon Pagano und Donny Talor an und konnte sich überdies auf die üppige Spielfreunde seiner Band verlassen. Aber er ließ es sich nicht nehmen, ein paar Nummern selbst zu singen. Seine schon immer dünne Stimme ist brüchiger geworden, zuweilen verlegte er sich auf einen flüsternde Sprechgesang. Ich glaube, niemand im Admiralspalast hätte es sich anders gewünscht. Wir genossen das Privileg der Intimität, wir konnten seine Kompositionen aus erster Hand hören. Vielleicht, um die Frage zu Beginn dieses Absatzes zu beantworten, will er heute einfach wissen, ob die Wette noch immer zu gewinnen ist.

 

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