Das Leben – ein Schwindel II

»Der Prinz und der Dybbuk« (2017). © Salzgeber

Nichts ist mehr von der einstigen Pracht übrig. Falls es doch noch Spuren geben sollte, sind sie längst unsichtbar, werden überwuchert von Gras, Buschwerk und Bäumen. Was soll auch, mehr als ein halbes Jahrhundert danach, noch existieren von den gebauten Illusionen?

Filmbilder, gewiss. Und mit viel Glück auch noch die Erinnerungen derjenigen, die sie bauten oder sich in ihnen bewegten. In »Der Prinz und der Dybbuk« irrt ein einstiger Statist durch das Gelände, auf dem einmal die Dekors von »Der Untergang des Römischen Reiches« standen. Er erinnert die fiktive Topographie noch ganz genau. Aber wohin er auch schaut, es gibt kein Anzeichen mehr, dass hier einmal ein Set stand, das teurer war als jede andere Filmkulisse zuvor. Dabei ging die Legende, Samuel Bronstons Filmsets seien massiv gebaut worden und nicht einfach nur aus Pappmaché. Eine Million Dollar klingt heute nicht nach viel, aber damals brach das Dekor des Forum Romanum alle Rekorde. 28 Millionen Dollar soll der gesamte Film verschlungen haben. Nach »Cleopatra« war er damit der bis dahin teuerste Film überhaupt – und letztlich ein noch größeres Desaster, da er bei seiner Erstauswertung nur einen Bruchteil der Kosten einspielte und, anders als »Cleopatra«, nie auch nur in Sichtweite schwarzer Zahlen gelangt.

Der Abgesang auf das Römische Imperium war in vieler Hinsicht der Gipfel von Michal Waszynskis Filmkarriere. Anfang der 1960er Jahre war er der Vizepräsident der Bronston-Organisation, die weltgewandte Nr. 2, die alle Welt einzuwickeln verstand. »Michael musste alle überwältigen«, sagt Sam Bronstons Sohn in »Der Prinz und der Dybbuk«, »auch sich selbst.« Der Film hätte sein Meisterstück werden können. In fataler Weise wurde er es auch. Man könnte sagen, er habe in Bronston einen ebenbürtigen Partner gefunden, eine Illusionisten, der das Geld mit so vollen Händen ausgab, dass niemand auf die Idee kam, er habe gar keines. Aber für Bronston war dieses Geld womöglich immer nur Mittel zum Zweck. Er war vielleicht tatsächlich ein Träumer reinen Herzens, der vor allen Dingen großes Kino schaffen wollte.

Auch seine Biographie lässt sich nur mit lauter Fragezeichen erzählen. Fest steht, dass er 1908 als Samuel (oder Shmuel) Bronhstein in Bessarabien geboren wurde, das damals zum Zarenreich gehörte. Sein Onkel war Leo Trotzki. Samuels Familie floh jedoch vor Oktoberrevolution und Bürgerkrieg nach Frankreich. Er behauptete, an der Sorbonne Politik, Kunst und Musik studiert zu haben. Er will als Flötist den Pariser Symphonikern angehört haben. Wahrscheinlicher ist, dass er sich seinen Lebensunterhalt als Straßenmusiker verdiente. Verbürgt ist hingegen, dass er zeitweilig als Hafenarbeiter in Marseille tätig war. 1932 wurde er des Scheckbetrugs überführt. Möglicherweise arbeitete er kurzzeitig als Fotograf, bevor es ihm gelang, einen Posten als europäischer Vertreter für United Artists (nach anderen Quellen: MGM) zu ergattern. Anfang der 40er Jahre emigrierte Bronston in die USA. Auf der Überfahrt soll er die Witwe Jack Londons kennengelernt haben, die er sodann überredete – auch er besaß enormen Charme - , ihm die Filmrechte am Werk ihres Mannes zu überlassen. Er versuchte, sich als unabhängiger Produzent zu etablieren, wobei ihm auch die Filmrechte an einem Agatha-Christie-Roman nützlich waren, den René Clair verfilmte. Im Jahrzehnt zwischen Ende der 40er und Ende der 50er klafft eine rätselhafte Lücke in seiner Filmographie. Sie lässt sich ein wenig mit der Legende schließen, er habe dank guter Verbindungen zum Vatikan die dortige Kunst-und Reliquiensammlung filmen dürfen. Der Katholizismus ist eine Spur, der er mit der gleichen Inbrunst wie Michal Waszynski folgte. Sie führte ihn nach Franco-Spanien. Die Militärdiktatur war damals zwar das, was man später einen Schurkenstaat nennen sollte. Aber sofort begriff er, dass dort viel Geld zu verdienen war. Diverse US-Konzerne und Filmstudios hatten eingefrorene Geldanlagen, die sie nicht ausführen konnten.

Hier kam Bronstons Talent zum tragen, Kontakte zu Reichen und Einflussreichen zu knüpfen. Er lernte Pierre Du Pont kennen, dessen Familie damals das drittgrößte Vermögen in den USA besaß. Die Du Ponts waren eigentlich für ihren virulenten Antisemitismus bekannt. Aber er hieß ja nun auch nicht mehr Shmuel Bronhstein. Der Chemiekonzern stellte von nun an Bürgschaften für den ehrgeizigen und nicht wirklich kreditwürdigen Produzenten aus. Im Gegenzug verschaffte er ihm Zutritt zum spanischen Markt, wohin er in seinem Namen Öl exportieren konnte. Das würde man heute wohl Geldwäsche nennen. Bronston hatte aber auch ein Gespür für Talente. Er engagierte Nicholas Ray als Regisseur des Jesus-Films »König der Könige«, der 1961 mit ermutigenden Zuschauerzahlen anlief. Die Investition schien sich zu lohnen. Du Pont steckte bis 1964 rund 35 Millionen Dollar in Bronstons Unternehmungen. Bald genügte ein einziges Studio nicht mehr dafür. »El Cid« verkaufte er der Franco-Regierung als Propaganda für das Regime. Offenbar produzierte er auch einige Dokumentarfilme zu Ehren des Diktators, die in Filmographien nicht mehr auftauchen.

Im Oktober 2000 belauschte ich ein Gespräch, das mir einzigartige Innenansichten in das Bronston-Imperium gewährte. Die Retrospektive der Viennale war in diesem Jahr der Hollywood Blacklist gewidmet. Meine Tischnachbarin bei einem Abendessen war die Autorin Norma Barzman, deren Mann Ben an den Drehbüchern zu »El Cid« und anderen Bronston-Produktionen mitgewirkt hatte, ohne im Vorspann genannt zu werden. Zu ihrer Linken saß der französische Filmjournalist Samuel Blumenfeld, dessen Texte ich aus »Le Monde« kannte. Wie sich herausstellte, war er schon lange fasziniert von dem schillernden Michal Waszynski und hatte tausend Fragen an Norma. Sie konnte gar nicht glauben, dass er der Regisseur des legendären »Dybbuk« war, denn über seine Vergangenheit sprach er in ihrer Gegenwart nie. Ich glaube, sie hatte ihn früh durchschaut. Blumenfeld veröffentlichte 2007 eine skeptisch abwägende Biographie über Waszynski mit dem kiplinghaften Titel »L'homme qui voulait être prince«. Es ist anzunehmen, dass die Regisseure von »Der Prinz und der Dybbuk« sie gelesen haben; zumindest danken sie ihm im Abspann.

Norma und ich freundeten uns rasch an. Wir trafen uns mehrmals, wenn sie eine ihrer Töchter in Paris besuchte. Einmal kam sie auch nach Berlin. Bei einer Sightseeing-Tour hielten wir vor dem Geschäft des Autoherstellers Seat an, von dem ich bis dahin nicht wusste, dass es ein spanischer Staatskonzern ist. »Findest Du es nicht auch verrückt«, fragte sie mich, »dass Ben und ich, zwei in den USA verfolgte Kommunisten, in Franco-Spanien Drehbücher für Hollywoodfilme schrieben?« Das fand ich auch insofern ironisch, als viele Opfer der Schwarzen Liste vor allem durch den Spanischen Bürgerkrieg politisiert worden waren.

Während wir uns die neuesten Seat-Modelle begutachteten, berichtete sie von der Rolle, die der Drehbuchautor Philip Yordan in der Bronston-Organisation spielte. Neben Waszynnki war er dessen wichtigster Partner. Auch er war ein begnadeter Hochstapler. Sein Name taucht im Vorspann einiger der herausragenden Hollywoodfilme der 50er Jahre auf, er hat sogar einen Oscar gewonnen. Aber nicht nur Norma war überzeugt davon, dass er später in seiner Karriere keine einzige Zeile mehr schrieb. Bronston zahlte ihm die damals exorbitante Summe von 400000 Dollar pro Buch. Dabei war er seit gut einem Jahrzehnt nurmehr der Strohmann für Autoren, die auf der Schwarzen Liste standen. Von seiner Gage ging zwar nur ein Bruchteil an die wahren Drehbuchautoren, darunter Ben Barzman. Aber von dem Geld konnte die Familie trotzdem gut leben, zumal Bronston ein ungeheuer großzügiger Mann war, der Erfolgsprämien zahlte, die nie in den Bilanzen seiner Firma auftauchten. Die Mitarbeit von Autoren wie Barzman und Regisseuren wie Ray oder Anthony Mann erklärt gewiss, weshalb er vergleichsweise intelligente Monumentalfilme produzieren konnte. Sie sind nicht so quallig, wie in dem Genre üblich, verhandeln insgeheim Themen wie Exil und Verbannung. Das Ringen um die Einigung ethnisch und politisch disparater Imperien ist ein weiteres Motiv, auf das man bei genauerer Betrachtung rasch stößt. Ein Ärgernis für Norma war hingegen, dass sie feststellen musste, wie viel die Drehbuchautoren von »Gladiator« bei »Der Untergang des Römischen Reiches« abgekupfert hatten. Zeitweilig überlegte sie, eine Plagiatsklage anzustrengen.

In Bronstons Vorstellung existierte eine merkwürdige Gleichung zwischen dem Budget eines Films und seiner Qualität. Nur ein teurer Film hatte für ihn auch erzählerisches Gewicht. Es wurde an nichts gespart. Für »El Cid« entstanden zehntausende von Kostümen, die Michael Waszynski vorsichtshalber in Italien anfertigen ließ, weil er wenig Zutrauen zu den Fertigkeiten spanischer Schneider hatte. Es wurden sogar Dekors gebaut für Filme, für die es noch gar kein Drehbuch gibt. Potenzielle Investoren genossen das Privileg, von dem charmanten polnischen Grafen durch die Kulissen geführt zu werden. Die wurden abgerissen, sobald die Besucher tief genug in ihre Taschen gegriffen hatten.

Irgendwann gerieten die Bronston-Produktionen zu einem riesigen Selbstbedienungsladen. In »El Cid« mochte man noch jede Peseta und jeden Dollar auf der Leinwand sehen. Aber Yordan und Waszynski fanden immer neue Wege, sich zu bereichern. Norma bestätigte, was ich schon nach der Lektüre von Charlton Hestons Tagebüchern und einer Nicholas-Ray-Biographie ahnte. Ständig flogen irgendwelche Handlanger morgens mit prall gefüllten Koffern nach Zürich und kehrten abends mit leerem Gepäck zurück. Waszynski zweigte vom Budget von »Der Untergang des Römischen Reiches« eine halbe Million ab, mit der er eine Villa für einen »Adoptivsohn« kaufte. Von den veruntreuten Dollars und Peseten wurden ferner Fabergé-Eier und Gemälde von Picasso und Raoul Dufy erworben. (Letztere sollten sich als Fälschungen entpuppen.) Das Ende des Imperiums, an dessen dessen Glanz und Niedergang Waszynski maßgeblich beteiligt war, musste er selbst übrigens nicht mehr miterleben. 1964 erlitt er in Madrid beim Mittagessen mit dem Regisseur Hugo Fregonese einen Herzinfarkt. Dieser sollte die letzte Bronston-Produktion inszenieren, die allerdings tatsächlich noch realisiert wurde.

Das Kartenhaus brach mit dem Misserfolg des ungewöhnlichen John-Wayne-Vehikels »Circus Wolrld« (Held der Arena) endgültig zusammen. Pierre Du Pont wurde aus seinen Funktionen im Familienkonzern entlassen. Der hat übrigens noch immer eine Verbindung zum Kino: Alexandre Oscar Dupont, der sich als Regisseur das Pseudonym Léos Carax gegeben hat, ist der Sohn von Joan Dupont, der langjährigen Frankreich-Korrespondentin des »Herald Tribune«. Vielleicht erklärt das Familienvermögen im Hintergrund die langen Pausen, die er sich zwischen seinen Filmen erlauben kann. Wohin man in dieser Geschichte auch blickt, an jeder Ecke stößt man auf Escape artists,

Sam Bronston selbst konnte seinem Schicksal jedoch nicht für lange Zeit entkommen. Die Du Ponts und andere Gläubiger verfolgten ihn bis zum Ende mit Klagen. In seiner Filmographie taucht 1984 als letzter Titel »Fort Saganne« auf. Das Projekt hätte zu seiner Gigantomanie gepasst, denn das Fremdenlegion-Epos war der damals teuerste französische Produktion. Aber sein Name taucht weder im Vor- noch im Abspann auf. Regisseur Alain Corneau erwähnt ihn in seiner Autobiographie mit keinem Wort, in Interviews mit der offiziellen Produzentin des Films, Albina de Boisrouvray, taucht er ebenso wenig auf. Vielleicht hielt er mal eine Option auf den Stoff. Aber er fand bestimmt niemanden mehr, der für ihn bürgen wollte.

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