Der Name unter dem Titel

Frank Capra cuts Army film as a Signal Corps Reserve major during World War II. (This photo taken circa 1943.)

Irgendwo las ich einmal, dass Frauen beim Krieg vor allem an Gräuel und Entsetzen denken, während Männer sich tendenziell eher für Fragen der Strategie. Ob diese Unterscheidung genauerer Betrachtung standhält, lasse ich heute einmal dahin gestellt. Denn es geht um einen Filmemacher, der ein bemerkenswertes Verhältnis zu Klischees und einige sogar erfunden hat.

Zudem ist die Unterscheidung eine nützliche Arbeitshypothese, um sich einem bestimmten Korpus in dessen Werk zu nähern: den Propagandafilmen, die Frank Capra während des Zweiten Weltkriegs produzierte. In der siebenteiligen Serie »Why we fight« erfährt man viel über Strategie und Gegenstrategie. Eigentlich war sie nur zur Wehrertüchtigung von Gis gedacht, zog dann aber weitere Kreise und gelangte sogar zu Oscar-Ehren. Die Filme holen historisch weit aus und zeigen griffig topographische Zusammenhänge auf, um die Angriffslust Nazi-Deutschlands zu erklären, brechen diese mitunter aber auch auf die Übersichtlichkeit von Gangsterfilmen herunter. Es ist viel von Niederlagen und Siegen die Rede, aber wenig von den demokratischen Idealen, die es gegen die Barbarei zu verteidigen gibt. Die verstanden sich wohl von selbst.

Capra und sein Team haben die Propagandastrategien des Gegners präzise studiert, zitieren aber nicht nur ausführlich (und ohne störende Rücksicht auf die deutsche Grammatik) aus abgefangenem Dokumentarmaterial von Fritz Hippler, Leni Riefenstahl und anderen. Auch Ausschnitte aus Spielfilmen wie »Emil und die Detektive« oder »Alexander Newksy« flechten sie geschickt ein. Besonders »The Battle of Russia« zieht Lehren aus den sowjetischen Montagetechniken, die Eisenstein und Co. in den 20ern erprobten. Eine grimmige Faszination am strategischen Geschick des Feindes (der selbst Flüchtlingsströme einkalkuliert, die den Vormarsch der Alliierten verzögern) blitzt mitunter auf.

Der Off-Kommentar beschwört das »Wir« der vereinten Kriegsanstrengungen, das heftigsten Widerständen trotzen muss und sich nicht voreilig siegesgewiss zeigen will. Beinahe eine Glanzstunde demokratischen Filmemachens: Capras Name taucht nie in den Vorspannen auf, auch der seiner Mitarbeiter nicht. Filmhistoriker wie Jean-Pierre Coursodon und Bertrand Tavernier haben inzwischen herausgefunden, dass der Regisseur Anatol Litvak die Filme maßgeblicher geprägt hat als ihr Produzent. Kein Wunder also, wenn der sonst so selbstbewusste Capra wenig Anstalten machte, sich seines Beitrags zum war effort zu rühmen. Die Demut der Arbeitsteilung vertrug sich nicht mit dem Anspruch, den er im Titel seiner Lebenserinnerungen formulierte: »The Name above the Title«.

Ich habe lange gezögert, über die Capra-Reihe zu schreiben, die bereits seit Dezember im Berliner Arsenal läuft und noch bis zum 20. Januar andauert. Der Treuherzigkeit dieses Filmemachers war mir nie ganz geheuer. ber nun kann ich mit Filmen beschäftigen, in denen (noch) nicht so viel Capra steckt, darunter zwei schöne Frühwerke. Im zweiten Teil der Arsenal-Retrospektive sind einige Episoden aus dem »Why we fight«-Zyklus zu sehen; ein weiterer, »War comes to America«, läuft dieser Tage zudem im Zeughauskino.

Von der stärksten Episode, »The Battle of Russia«, hat Capra sich nachträglich distanziert. Im Klima der Kommunistenhatz der späten 40er war die Ehrerbietung gegenüber dem Durchhaltevermögen und Kriegsgeschick des ehemaligen Alliierten mit einem Mal nicht mehr opportun. Begriff Capra nicht, dass in der Mc-Carthy-Ära in Wahrheit mit dem progressiven Geist der Roosevelt-Administration abgerechnet wurde, dessen hervorragendsten Propagandist er in den 30er gewesen war? Allerdings fühlte er sich schon während der Arbeit an der Serie von Autoren umgeben, denen er (in der Regel völlig zu Unrecht) eine kommunistische Gesinnung unterstellte. Dabei ist »The Battle of Russia« ideologisch weitgehend unverfänglich; der Kommentar vermeidet es nach Kräften, die Sowjetunion beim Namen zu nennen. Es geht um Russland, dessen über die Jahrhunderte erwiesene Wehrhaftigkeit und insgeheim auch die Ähnlichkeit, die das Land zu Amerika aufweist: Es verfügt über dieselben Bodenschätze (sogar Baumwolle wird dort angebaut) und hat bedeutende Künstler wie Tolstoi und Tschaikowski hervorgebracht, deren Werke auch in den USA gern gehört und gelesen werden. Seine Bewohner freuen sich auf den Frühling und fahren gern Straßenbahn. Einmal wird der Erzbischof von Moskau in Bild und Wort zitiert. Die Musik stammt hauptsächlich vom nachmaligen Western-Spezialisten (»Eine Steppe ist eine Steppe ist eine Steppe.«) Dimitri Tiomkin, der in der Ukraine geboren wurde.

Die Entstehungsgeschichte der Serie führt mitten ins Herz der ideologischen Widersprüche Hollywoods. Immerhin wurden die großen sozialkritischen Filme der Vorkriegszeit von eminent konservativen Regisseuren (neben Capra sind dies Ford und Mervyn LeRoy) inszeniert. Es ist eine ketzerische, im Nachhinein aber legitime Frage: War Capra je mehr als ein Hofnarr des New Deal? Seine großen Erfolge sind sentimental-patriotische Pamphlete, voll ausgelassenen Humors und nicht ohne satirische Schärfe. Der sizilianische Einwanderer wollte Filme machen, um auf seine Weise »Danke, Amerika!« zu sagen. Seine Helden, einfache Menschen aus dem Volk, begehren gegen die Anonymität auf und forderten die Verhältnisse heraus, ohne sie entschieden infrage zu stellen. Ein tiefes Misstrauen gegenüber allem Urbanen spricht aus ihnen: Die Großstadt erscheint als ein Pandämonium von Zynismus und Korruption. Capra war ein brillanter Vereinfacher; die Vokabel Populist hatte zu seiner Zeit noch einen besseren Klang. Über die Kontroversen, die seine Filme einst auslösten, hat sich längst die Patina einer treuherzigen Vaterlandsliebe gelegt. Insgeheim verraten sie eine innigere Liebe zur Demagogie, als den liberalen Bewunderern dieses Regisseur lieb sein kann. Er war fasziniert von der Bildgewalt Leni Riefenstahls und ein Bewunderer Francos.

Wie er Cary Grant in »Arsen und Spitzenhäubchen« agieren lässt, habe ich ihm nie wirklich verziehen: Es ist die wohl lärmendste, angestrengteste Darstellung dieses dieses sonst so entspannten Schauspielers. Am teuersten sind mir noch die Momente, in denen bei Capra Verzweiflung aufblitzt (es gibt bemerkenswert häufig Selbstmordversuche) und ein Unbehagen gegenüber dem frohlockenden Materialismus Amerikas. Das Schillern zwischen Realismus und Romantik ist eine seiner großen Stärken. »Ist das Leben nicht schön?« hat mich wirklich umgehauen, als ich ihn zum ersten Mal sah. Nicht, weil es ein so gefeierter Weihnachtsfilm ist, sondern weil er mir so ungeheuer modern erschien. Capras immenses Talent hatte Facetten, die ihm zweifellos gar nicht bewusst waren. Die Lektüre seiner Autobiographie hat meine Voreingenommenheit nur noch verstärkt. Ihr Verfasser erschien mir als ein kleinherziger Streber, dessen Ruhmsucht dem vorgeblichen Idealismus seiner Filme nachträglich die Luft abschneidet. Dieser eifrige Oscar-Jäger wollte dem amerikanischen Traum nichts schuldig bleiben.

Umso erstaunlicher sind zwei frühe Filme, die im Arsenal laufen. »The Miracle Woman« von 1931 lehnt sich an den Aufstieg der berüchtigten Evangelistin Aimee Semple McPherson an und ist ein gleißendes Plädoyer gegen Heuchelei und Korruption. Die Musik dieses Enthüllungsdramas greift auf patriotische Vorlagen zurück (»John Browns Body«, »The Battle Hymn of the Republic«; zugleich aber profitiert es von dem amoralischen Elan des Pre-Code-Kinos. Das Zögern spielt in diesem ungemein temporeichen Film eine zentrale Rolle: So einfach wie später lassen sich die moralischen Grenzlinien noch nicht ziehen. Barbara Stanwyck, die Capra gern ihrem Ehemann abspenstig gemacht hätte, ist auch in »The Bitter Tea of General Yen« (1933) eine berückende Gewährsfrau der Ambivalenz. (Mit ihm, den der Regisseur zu seinen eigenen Favoriten zählte, hat vor zwei Tagen die Cinémathèque francaise ihre eigene Capra- Retrospektive eröffnet.)

Kontraststark von dem großen Frauenporträtisten Joseph Walker fotografiert (der Stanwyck in »The Miracle Woman« ebenfalls in bezeichnenden Spiegelszenen zeigt), ist das Drama aus der Warlord-Zeit in China zunächst einmal ein Versuch, an den Erfolg von Sternbergs »Shanghai Express« anzuknüpfen. Als erotischer Bildungsroman geht »Bitter Tea« jedoch weiter, stellt die Begegnung einer puritanisch erzogenen Puritanerin mit einem ebenso kultivierten wie kaltblütigen Kriegsherren unter das Vorzeichen der Entfesselung ungekannten Begehrens. Der wagemutig lasziv inszenierte Alp-und Wunschtraum Stanwycks erzählt von der Anziehungskraft einer fremden Kultur. Der leuchtende Exotismus, das Chaos der Kriegszeit inspirieren Capra zu einem seiner visuell reichsten Filme: So irrwitzige Doppelbelichtungen und so kluge Reißschwenks hat er danach nie wieder gedreht. Ich bin aber nicht sicher, ob er sich wirklich bewusst war, wie erotisch vieldeutig seine Tableaus sind.

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