Wes oder Ein Puppenheim

Wes Anderson am Set von »Grand Budapest Hotel« (2013)

Überraschenderweise wecken gerade Filmemacher, die eine zutiefst selbstgenügsame Welt erschaffen, die Faszination von Außenstehenden. Obgleich streng den Geboten einer eigensinnigen Phantasie gehorchend, verlocken ihre filmischen Universen offenbar besonders dazu, künstlerisch entwurzelt zu werden. Sie inspirieren zu Vereinnahmung und Weiterung. Mitunter schwappen sie sogar über in die Wirklichkeit.

Wes Anderson ist ein solcher Regisseur. Er ist sozusagen der gewissenhafte Dandy unter den Gegenwartsregisseuren. Niemand käme auf die Idee, ihn in die Pflicht zu nehmen, Antworten auf die dringenden Fragen der Gegenwart zu geben. Als Zeitgenossen einer wie auch immer gearteten Aktualität mag man ihn schwerlich aufrufen. Warum auch sollte er die Wirklichkeit abbilden, wo er sie doch so prächtig erfinden kann? Seine Drehbücher stecken voll wundersamer Fügungen. Sein Blick auf die Welt wirkt, als sei er bereits im Storyboard festgezurrt; seine präzis ausbalancierten, gern symmetrischen Einstellungen und die schmuck gesättigten Farben entheben die Filme nachdrücklich der Alltagsrealität. Seine Figuren sind zu exzentrisch, um sich der Mitte der Gesellschaft zurechnen zu lassen. Für sie ist das Leben vor allem ein ästhetisches Abenteuer.

Als hätte er nur darauf gewartet, dass einmal jemand so etwas über ihn schreibt, dreht er gerade wieder einen Trickfilm, ein Genre, das ja schon per Definition zur Realitätsflucht ermutigt. Für alle Bewunderer seiner Stop-Motion-Eskapade »Der fantastische Mr. Fox«, und da kann ich mich nicht ausnehmen, birgt diese Nachricht ein unabweisbares Versprechen. Aber genug der stilanalytischen Vorrede. Mein heutiges Thema liegt schließlich strenggenommen außerhalb von Andersons Kino. Nur noch ein Wort: Weltfremd ist dieser Regisseur nicht. Seine von jedwedem Zynismus befreiten Filme wissen Eigen- und Gemeinschaftssinn sehr wohl zu vereinigen und halten für ihre Zuschauer überdies die schöne, kathartische Botschaft bereit, dass man bereit sein sollte, die eigene Natur anzunehmen. Seine Figuren dürfen am Ende stets erkennen, dass es schon in Ordnung ist, einfach so zu sein, wie sie sind.

Wie lebhaft die Zwiesprache seiner Phantasiewelten mit der Wirklichkeit ist, habe ich bereits im letzten November in meinem Eintrag »Eine Welt für sich« anklingen lassen. Sie erinnern sich: all die Kommentare auf Reiseportalen wie »Trip Advisor«, die den vorzüglichen Service im »Grand Budapest Hotel« lobten. Und wie stilbildend das Design seiner Filme auf die reale Welt einwirken kann, demonstrierte unlängst eine Fotostrecke im »Guardian«. In der britischen Tageszeitung, der dieser Blog notorisch viele Eingebungen verdankt, erschien vor ein paar Tagen ein Artikel über die spanische Künstlerin Mar Cerdà, die sich auf Dioramen spezialisiert hat und als Inspirationsquelle oft Andersons Filme zu Rate zieht. In wochenlanger Kleinarbeit rekonstruiert sie mit Papier und Wasserfarben Szenerien aus dessen Filmen im Miniaturformat.

Das Kino als Puppenstube: da haben sich zwei Seelenverwandte gefunden. Werfen Sie einmal einen Blick darauf, wenn sie sich gerade mal den drängenden Fragen der Gegenwart enthoben fühlen.

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