Eine schillernde Karriere

Michael Cimino

Mein alter Freund Vincent hatte seine eigene Theorie, weshalb Michael Cimino so unendlich viele Takes drehte. Sie war erfahrungsgesättigt, denn beide hatten in den 60ern in der Werbebranche in New York begonnen. Michael, meinte er, sei es einfach gewohnt gewesen, die Einstellung eines Kühlschranks siebzigmal wiederholen zu lassen. Der Kühlschrank konnte sich, im Gegensatz zu Schauspielern, nicht beschweren. Und Ciminos Klienten von der Madison Avenue waren mit den Resultaten meist zufrieden.

Der Kameramann Vilmos Zsigmond hatte eine andere Theorie. Auch sie war erfahrungsgesättigt. Bei einem Interview erzählte er mir und Lars-Olav Beier von ihrer ersten Zusammenarbeit: »Als wir bei »The Deer Hunter« (Die durch die Hölle gehen) die Tanzszene drehten, nahmen die Takes, die Cimino machen ließ, kein Ende. Ich war selbst überrascht, dass er sie so oft wiederholen ließ. Die Schauspieler waren irgendwann dermaßen erschöpft, dass De Niro während des Tanzes ausrutschte und hinfiel. Diese Einstellung ist nun im Film! Danach hat Cimino offenkundig gesucht, ohne es selbst zu wissen.« Die Unzahl der gedrehten Varianten stellte für Ciminos Cutter natürlich ein immenses Problem dar. Der Veteran William Reynolds wurde von United Artists verpflichtet, nachdem der Regisseur bei »Heaven's Gate« bereits zwei Schnittmeister verschlissen hatte. Er kam allerdings gut mit ihm aus. »Ich muss sagen, dass ich noch nie einen Regisseur erlebt habe, der so hart im Schneideraum arbeitete«, berichtete er mir einmal. »Ich hatte schon von seinen furchtbaren Arbeitsgewohnheiten gehört. Wenn ich morgens in den Schneideraum kam, hatte er sich schon etliche Takes angeschaut. Und wenn ich abends ging, blieb er noch stundenlang dort.«

Der nun im Alter von angeblich 77 Jahren gestorbene Filmemacher (mit der Wahrheit nahm er es nicht immer so genau) muss ein einnehmender Monomane gewesen sein. Wie sonst hätte er es geschafft, dass United Artists immer astronomischer Geldsummen locker machten, um einen ursprünglich kleinen Western drehen zu können und überdies die damals in den USA vollkommen unbekannte Isabelle Huppert als Hauptdarstellerin durchzusetzen? Nachdem Ciminos Exzesse das Studio an den Abgrund brachten, wurde er zum Paria. Aber ganz erlosch sein Charisma wohl nicht, denn vollends abschreiben mochten ihn Studios und unabhängige Produzenten nicht. Fünf Langfilme konnte der Außenseiter immerhin noch realisieren. Es ist indes kein Zufall, dass die Nachricht seines Todes aus Europa kommt. Thierry Frémaux, der Festivalchef von Cannes, verbreitete sie gestern abend über Twitter. Während man in Hollywood nur so gut ist wie sein letzter Film, wird man hier für sein Gesamtwerk verehrt, auch wenn dessen Höhepunkt bereits mehrere Jahrzehnte zurückliegt.

Ciminos Anfänge im Hollywoodgeschäft waren viel versprechend. Er schrieb am Drehbuch zu Douglas Trumbulls ökologischem Science-Fiction-Film »Lautlos im Weltraum« mit und sein Beitrag zum zweiten »Dirty Harry«-Film gefiel Clint Eastwood so gut, dass er ihm 1974 die Regie bei der herrlichen Gangsterkomödie »Die Letzten beißen die Hunde« antrug. Damals kleidete sich Cimino immer ganz in Schwarz, wovon später nur noch die dunkle Sonnenbrille übrig blieb, und rühmte sich, als Einziger in Hollywood alle russischen Klassiker von Dostojewski bis Nabokov zu kennen. Mitte der 70er war es im US-Filmgeschäft noch eine gute Idee, das Bild des maverick zu kultivieren. An »Die durch die Hölle gehen« beeindruckte mich allerdings vor allem seine klassische, mythische Dimension, etwa der aufs Hochzeitskleid verschüttete Rotwein, der zum Menetekel für die spätere Tragik wird. Ich musste oft an John Ford denken. Und wie die Rekruten zu Frankie Vallis »Can't take my eyes off of you« Billard spielen, finde ich einen der tollsten Einsätze von Popmusik in der gesamten Filmgeschichte. Steven Spielberg pries seinerzeit die Russisches-Roulette-Szene; nicht einmal über Gebühr.

Der triumphale Erfolg muss Cimino ziemlich zu Kopf gestiegen sein. In Interviews behauptete er, das Drehbuch ginge auf eigene Vietnam-Erfahrungen zurück. Tatsächlich leistete er aber nur Dienst als Reservist. In seinen Memoiren geht der britische Produzent Michael Deeley scharf mit seinem Regisseur ins Gericht. Sie mögen aus einem Gefühl der Kränkung hinaus geschrieben sein, nachdem Cimino allen Ruhm für sich reklamierte. Deeley legt allerdings sehr glaubhaft dar, wie viel Drehbucharbeit und Risikobereitschaft in dem Film bereits vor dem Engagement des gefeierten Wunderkindes steckten. Das Buch ist auch eine Abrechnung mit dem Kult, den die auteur theory generiert hat. »Die durch die Hölle gehen« ist ein brillant inszenierter, aber eben auch hervorragend produzierter Film.

Entsprechend zwiespältig sehe ich auch »Heaven's Gate«. Er scheint mir der Rehabilitierung würdig. Aber dass er von einer Katastrophe zu einem grandiosen Meisterwerk avancierte, ist vielleicht doch einem gewissen, trotzigen Kritiker-Hochmut geschuldet. Er ist ein prächtiger Prüfstein für die Autorentheorie, derzufolge Stil und Handschrift stets über den Stoff triumphieren müssen. Das greift in diesem Fall zu kurz. Tatsächlich eröffnet er ungekannte Einblicke in den Schmelztiegel USA, in dem die Gewalt als konstituierendes Element unentrinnbar scheint. Zsigmonds Kameraarbeit ist streckenweise atemraubend. Schade, dass man nicht immer begreift, was da nun vor der Kamera passiert.

Ich fand es damals auch sehr wagemutig von Cimino, so unbeirrt Helden in den Mittelpunkt zu rücken, die nicht um die Sympathie der Zuschauer buhlten. Die Charaktere, die Kris Kristofferson und später dann Mickey Rourke oder Christoper Lambert für ihn spielten, waren ja ziemlich großspurig, rüde und selbstherrlich. Für mich stand eigentlich außer Zweifel, dass er sich irgendwann von dem Fiasko »Heaven's Gate« erholen würde. Als Mitte der 80er »Im Jahr des Drachen« herauskam, eilten mein Freund Lars-Olav und ich noch voller Neugierde ins Kino. Wir waren beeindruckt von der Verve des Films; der Rassismusvorwurf, der den Polizeithriller um die chinesischen Mafia damals traf, genierte uns nicht weiter. Seine späteren Arbeiten »Der Sizilianer« und »24 Stunden in seiner Gewalt« verblassten demgegenüber. Sie erscheinen wie Rückzugsgefechte, gaben sich den Anschein flamboyanter Genreversiertheit, bewegten sich aber im Fahrwasser von Vorläufern (Francesco Rosis Film über Salvatore Giuliano, »Der Pate« und William Wylers Erstverfilmung von »The Desperate Hours«), die früher einmal funktioniert hatten. Tatsächlich hatte Cimino damals noch ungemein ambitionierte Projekte: einen Western, ganz in der Sprache der Sioux gedreht; Adaptionen von »Schuld und Sühne« und André Malraux' »So lebt der Mensch« sowie einen Stoff namens »Das gelbe Trikot«, der allerdings wirklich eine blödsinnige Idee war – weniger wegen der logistischen Probleme, die ein Dreh während der Tour de France heraufbeschworen hätte, sondern wegen Ciminos fixer Idee, den viel zu alten Dustin Hoffman als Radchampion zu besetzen.

Wie mir Vincent Anfang der 90er erzählte, hatte Cimino da längst den Bezug zur Realität verloren. Er war paranoid geworden, schlief mit einem Revolver neben dem Bett und rief seinen alten Freund regelmäßig zu nachtschlafener Zeit an (den Zeitunterschied zwischen Los Angeles und New York hatte er nicht mehr auf dem Schirm), weil er Einbrecher an der Haustür gehört hatte. Aber ein interessanter Film steckte noch in ihm, der zugegeben etwas wirre »Sunchaser«, der wohl nur in der Zeitschrift »Positif« mit kluger Begeisterung rezensiert wurde. Zeitweilig lebte Cimino in Paris, schrieb Romane, die einigen Erfolg hatten und wurde auf europäischen Festivals als verkanntes Genie gefeiert. Ich erlebte ihn einmal als Jurymitglied auf einem Festival in den französischen Alpen, das dem Horror-und Fantasykino gewidmet war. Dafür schien er mir fehlbesetzt. Aber mit seinem überdimensionierten Cowboyhut hinterließ der überraschend zierliche Mann einen starken Eindruck. Nun ist er gestorben, überraschend friedlich, im Kreis von Freunden und, wie Frémaux rätselhaft twitterte, den »zwei Frauen, die ihn liebten«. Ein angemessenes Ende für jemanden, der alles immer anders machte, als es in Hollywood die Regel war.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt