Wer sagt denn, dass Anschlüsse immer stimmen müssen?

Edward Lachman

Bei unseren ersten Telefongesprächen wollte er rein gar nicht über seine eigene Arbeit sprechen. Er stellte vielmehr lauter Fragen nach dem Verbleib seiner alten Weggefährten: Was aus Eva Mattes geworden sei, bei wem Peter Kern heute spielen würde. Natürlich interessierte er sich für den Werdegang seiner Kollegen, besonders den der Kameraleute Jörg Schmidt-Reitwein oder Igor Luther. Ob Wolf Wondratschek noch immer über Boxen schrieb, wollte er wissen. Selbst nach Walter Bockmayer erkundigte er sich.

Wenn Ed Lachman gelegentlich eine deutsche Vokabel einfließen ließ, dann nie im anmaßend-unkundigen Tonfall jener weltläufigen Amerikaner, denen die eigene Lebensweise als das Maß aller Dinge und alles Andere exotisch erscheint. So lernte ich ihn am Telefon kennen als einen Anteilnehmenden, der sich Situationen und Begegnungen bereitwillig aussetzt, der leicht Wurzeln schlagen kann; selbst an den entlegensten Orten.

Die Messlatte hat er damals gewiss hoch angelegt für seine spätere Karriere: Er war an Filmen beteiligt, bei denen mehr auf dem Spiel stand, als nur das Budget. Jeder Film muss für den jungen Kameramann eine Entdeckungsreise gewesen sein. Das Wagnis La Soufrière hat ihn am stärksten geprägt, erstmals lernte er da Werner Herzogs Manie kennen, sein Team auf Situationen äußerster Anspannung und Opferbereitschaft einzuschwören. Zusammen mit Jörg Schmidt-Reitwein erkundet er die von fast allen Einwohnern verlassene Insel Guadeloupe unter dem Vorzeichen eines drohenden Vulkanausbruchs. Dabei ist es erstaunlich, mit welch großer Gelassenheit die Kamera auf die Bedrohung reagiert. Er arbeitete mit Regisseuren, die ihre eigene visuelle Grammatik entwickelten. Als ihm bei Stroszek auffiel, dass kaum ein Anschluss stimmte, dass Requisiten nach dem Schnitt ihre Position veränderten oder Gesten abgebrochen wurden, erwiderte Herzog: "Wer sagt denn, dass Anschlüsse immer stimmen müssen?"

Diese ganz andere Zeit war in ihm noch erstaunlich lebendig; zweifellos ist sie es auch heute noch. Später erzählte er mir einmal, er habe die Kameraarbeit an der Douglas-Sirk-Hommage Far from Heaven nicht zuletzt deshalb übernommen, weil ihn Fassbinders Text über den Regisseur so sehr bewegt hatte. Obwohl er in den USA ungeheuer gefragt war, Filme von Sofia Coppola, Todd Haynes, Paul Schrader, Steven Soderbergh und vielen anderen fotografierte, ließ er die Verbindung zu Europa nie abbrechen. Später unterhielt er enge Verbindungen zum österreichischen Kino und arbeitet bis heute kontinuierlich mit Ulrich Seidl zusammen.

Unsere erste persönliche Begegnung fand vor einigen Jahren auf der Viennale statt, die ihm eine Hommage ausrichtete. Da ich den Katalogtext über ihn geschrieben hatte, wurde ich auch gebeten, Publikumsgespräche mit ihm zu moderieren. Das war ein immenses Vergnügen. Er besitzt eine bewundernswerte Gabe, Freundschaften zu schließen. Seine Geselligkeit war unermüdlich. Besonders gut verstand er sich übrigens mit dem Dokumentaristen Jürgen Böttcher, dem ebenfalls eine Hommage gewidmet war. Ihn faszinierte, dass dieser noch ein zweites Leben als Maler (unter dem Namen Strawalde) führte. Einmal saßen wir in einem Stau fest und Böttcher erzählte, wie exotisch ihnen in der DDR der Anfang von Felllinis Achteinhalb vorkam, denn Verkehrsstaus gab es damals nicht. Spätabends entdeckten die Zwei, dass Umberto D. von Vittorio de Sica ihr Lieblingsfilm war.

Über die Jahre hielten wir Kontakt. Er lud mich zu einer Ausstellung seiner Fotos in New York ein. Ich scheute die Reise, aber in Paris holte ich einige Jahre später die Bekanntschaft mit diesem Aspekt seiner Arbeit dann nach. Einmal begleitete er Robert Altman, als dieser auf der Berlinale A Prairie Home Companion vorstellte. Später drehte ich über ihn eine Dokumentation für den WDR, weil er in Köln eine Auszeichnung erhielt. Nun wird ihm der Marburger Kamerapreis verliehen. Das ist, wie so oft in den Vorjahren, eine kluge Entscheidung. Heute Abend wird eine Schau der Polaroids eröffnet, die er bei den Dreharbeiten zu I'm not there und anderen Filmen machte. In den nächsten Tagen kann das Publikum dort entdecken, wie facettenreich seine Handschrift ist und wie gescheit er darüber sprechen kann. Eines der Gesprächsthemen des langen Wochenendes werden sicher seine Grenzgänge zwischen Dokumentar- und Spielfilm sein, von Wenders und Herzog bis hin zu Seidl. Natürlich wird der affektive, stilisierte Gebrauch der Farben in Far from Heaven diskutiert werden. Ich persönlich mag besonders die Atmosphäre tragischer Entrücktheit, die er in The Virgin Suicides schafft, die pulsierenden Farben in Light Sleeper und vor allem, wie er die trügerische Idylle Kaliforniens in The Limey entlarvt, ohne sie zu entzaubern. Seine Kameraarbeit, und das ist sicher eine Lehre, die er aus seinen europäischen Anfängen zog, strebt nicht nach Perfektion, sondern vibrierender Lebendigkeit. 

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