Kritik zu I'm Not There

© Tobis

2007
Original-Titel: 
I'm Not There
Filmstart in Deutschland: 
28.02.2008
L: 
135 Min
FSK: 
12

Neun Jahre, nachdem er mit Velvet Goldmine dem Glam Rock ein Denkmal setzte, widmet sich Todd Haynes erneut der schillernden Welt der Popmusik - mit einer radikal unkonventionellen Dylan-Biografie

Leserbewertung
4
4 (Stimmen: 2)

Wäre ein traditionelles Dylan-Biopic denkbar? Selbstverständlich. Es könnte 1997 einsetzen, dem Jahr des Bestselleralbums »Time Out Of Mind« und dem Auftritt vor dem Papst. Da säße dann der in die Jahre gekommene Star nachdenklich in seiner Garderobe, und seine Biografie zöge als Rückblende an uns vorbei: der Aufstieg vom Kleinstadtjungen zur Folklegende, das bewegte Liebes- und Eheleben, die Wandlung zum Rock- und Gospelmusiker, der Abstieg in Drogensumpf und künstlerische Bedeutungslosigkeit. Als schlüssiger dramaturgischer Bogen käme sein Leben daher, und am Schluss würde der Held auf seine alten Tage noch einmal rausgehen auf die Bühne und es der Welt so richtig ­zeigen.

Ein mäßiger, allenfalls mittelmäßiger Film wäre das; Bob Dylan könnte er unmöglich gerecht werden. Todd Haynes wählt für I'm Not There glücklicherweise einen anderen Ansatz. Er zeichnet ein höchst subjektives Dylan-Bild, ein pointillistisches Sammelsurium der Stile und Perspektiven. Sein Credo dabei ist: Dieser Mensch ist so vielseitig und widersprüchlich, dass es den einen »wahren Dylan« womöglich gar nicht gibt. »I'm not there«, singt der Meister nicht umsonst im titelgebenden Song. »Ich ist ein anderer«, sagt der von Dylan hochgeschätzte Dichter Rimbaud. Dylan, das sind viele in einem, erklärt Haynes, oder, andersherum, einer in vielen.

Sechs, um genau zu sein, jeder davon ­zugleich Repräsentant einer bestimmten Dylan'schen Schaffensphase und Geschöpf der überbordenden Haynes'schen Fantasie. Recht nah an der historischen Realität befinden sich dabei der Folkbarde Jack Rollins (Christian Bale), der im Greenwich Village der frühen Sechziger für Furore sorgt, und der zur Rockmusik konvertierte Jude Quinn (Cate Blanchett), der während einer England-Tournee den Zorn der Fans und die Ignoranz der Journaille zu spüren bekommt. Der Hollywood-Star Robbie Clark (Heath Ledger) steht für Dylans Ausflüge ins Filmbusiness, verkörpert aber vor allem den gescheiterten Familienvater. Gänzlich freie Inkarnationen sind dagegen der Poet Arthur Rimbaud (Ben Whi­shaw), in dem Dylan und eines seiner Vorbilder ebenso verschmelzen wie in dem halbwüchsigen dunkelhäutigen Aufschneider Woody Guthrie (Marcus Carl Franklin), der 1959 als fahrender Sänger durchs Land zieht, und dem alt gewordenen, zurückgezogen lebenden Billy the Kid (Richard Gere).

Haynes gibt jeder dieser Figuren eine eigene Geschichte und jeder dieser Geschichten eine eigene Ausdrucksform - farbig und schwarz-weiß; episch und dokumentarisch; verspielt und düster; parodistisch überhöht und kühn verfremdet. Einerseits folgt der Film einer vagen historischen Chronologie, andererseits sprengt er jede konventionelle Form, indem er die Episoden ineinanderfließen lässt, vor und zurück springt. Haynes verdreht Jahreszahlen, ändert Namen, erfindet Fakten und Charaktere; gleichzeitig schöpft er hemmungslos aus dem Fundus der Dylan-Historie, zitiert Pennebakers Don't Look Back und Scorseses No Direction Home, bedient sich bei Lesters Help! und Peckinpahs Pat Garrett jagt Billy the Kid, spielt Dylans Songs im Original und als Coverversionen, legt Figuren Songtexte in den Mund und so weiter und so fort. Gleichermaßen ehrfürchtig wie respektlos verhandelt der Film auf allen Ebenen die Motive von Dichtung und Wahrheit. Beim Zuschauer setzt er eine Menge vo­raus. Wer nicht wenigstens die großen Linien der Dylan-Biografie kennt, dürfte I'm Not There stellenweise kaum folgen können.

Von der Wirklichkeit entfernt sich Haynes so weit, dass der Vorwurf mangelnder historischer Korrektheit so sinnlos wäre wie die Forderung an Dylan, endlich zu seinen Wurzeln zurückzukehren. Nicht eine Sekunde lang behauptet der Film, den Menschen Dylan durchdrungen zu haben. Haynes' Dylan ist beileibe kein Sympath, sondern vor allem ein Leidender auf der Flucht: vor den Anhängern, die ihm ein Etikett anheften, vor den Journalisten, die ihn ergründen, vor den Frauen, die ihn domestizieren wollen. Kein Wunder, dass der echte Dylan diesem Projekt seinen Segen gab, betreibt es doch die Fabrikation von Identität, ihre Re- und Dekonstruktion, genauso virtuos wie der Künstler selbst. Es wahrt Distanz und versucht gar nicht erst, das Unerklärbare zu erklären. Kommt man dem »wahren Dylan« auf diese Weise näher? Don't think twice, it's all right. 

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