Sommerkino: Die Beute des Windes

Freiluftkino im Volkspark Berlin-Friedrichshain. Foto: © Philip Koschel

Das Angebot an Freiluftkinos scheint sich täglich zu vergrößern. In Berlin schießen sie seit einigen Jahren wie Pilze aus dem Boden. Nicht nur an traditionellen Orten (Hasenheide, Potsdamer Platz, Friedrichshain) sind sie mittlerweile zu finden. Auch Hersteller von Speiseeis sind unlängst auf den Zug aufgesprungen (ist schon verlockend, »Her« bei freiem Eintritt und kostenlosem Peanut Butter Cup zu sehen), selbst das Bundespresseamt bot gerade Open-Air-Programme an (mit Bildungsauftrag: zu 25 Jahren Wiedervereinigung). Wenn Sie den Begriff in eine Suchmaschine eingeben, werden Sie gar auf ländliche Sparkassen stoßen, die so um neue Kunden buhlen. 

Wenn ich mich recht erinnere, hat in Deutschland der Trend in den späten 80er Jahren an Fahrt aufgenommen. Kino unter dem Sternhimmel gibt es allerdings schon seit den Brüdern Lumière. Heutzutage spielt es natürlich auch eine strategische Rolle, als eine Gegenoffensive, die der Zuschauerflaute Einhalt gebieten soll, die alljährlich während der Freibadsaison droht. Wahrscheinlich haben sich die Kinobesitzer diese Idee sogar von den älteren Künsten abgeschaut, von den sommerlichen  Musik-, Theater- und Opernfestivals, die nicht zuletzt dazu dienen, ein Publikum zu erreichen, das sonst kaum je Konzertsäle oder Bühnen besucht.    

Meine eigenen Besuche in Freiluftkinos lassen sich an einer Hand abzählen: Nach dem Abitur auf Sardinien in einem Amphitheater »Der Rote Korsar« (Burt Lancaster klang auch mit italienischer Synchronstimme ziemlich unternehmungslustig), während meines Studiums »Die Roten Schuhe« in der UFA-Fabrik (in Gesellschaft einer Kommilitonin, mit der zusammen ich an einem Referat über Powell & Pressburger saß), später »Midnight Run« in der Hasenheide (zum reinen Vergnügen). Und selbstverständlich empfand ich es immer als erhebend, auf der Piazza Grande in Locarno zusammen mit tausenden anderen Schaulustigen einer Premiere beizuwohnen. Das letzte Mal wurde ich allerdings das Opfer eines heftigen Sommerregens und war erstaunt, wie lange die höflichen Schweizer in der Nässe ausharrten – zumal ein heimischer Film lief, in dem es ebenfalls wie aus Kübeln goss. Open-Air-Kino, auch darin liegt sein Reiz, ist unberechenbar. Manche Risiken sind indes vorhersehbar. Die Einladung, einmal auf der Berliner Museumsinsel im Liegestuhl einen Filmklassiker zu sehen, habe ich wohlweislich abgelehnt, denn in der Horizontalen kann ich selbst beim spannendsten Film die Augen nicht lange offen halten. 

Ich kann mir nicht recht erklären, woher mein Zögern rührt. Die lauschige Sommeratmosphäre habe ich bei diesen Gelegenheiten stets genossen. Oft jedoch beschlich mich der Verdacht, dem Publikum sei das Drumherum wichtiger als der Film – ein Berliner Freiluftkino wirbt sinnigerweise mit dem »schönsten Panorama der Stadt«. Aber was spricht dagegen? Der Romantiker in mir ist empfänglich für den Zauber dieser innigen Verbindung von Tageszeit (die zu spüren im Kino sonst ausgeschlossen ist) und Schaulust, wenn sich Dunkelheit und Stille über das Ambiente legen. Der Sternenhimmel ist dann womöglich gar kein Rivale des Films, sondern dessen Komplize: Auch er animiert ja dazu, sich in die Ferne zu träumen oder über die Rätsel des Universums nachzusinnen. Also genug der stubenhockerischen Einwände! Denn selbst der Purist in mir ist dem plein air - Vergnügen aufgeschlossen, wenn es einen klugen thematischen Zusammenhang zwischen Vorführung und Film gibt. Damit meine ich weniger so naheliegenden Einfälle wie den, in einem Freibadkino »Der weiße Hai« oder »Titanic« zu zeigen. Aber im Parc de la Villette in Paris beispielsweise lief unlängst unter freiem Himmel ein Zyklus mit klaustrophoben Filmen (»Der Ghostwriter«, »Das Apartment«, »Rebecca«, »Caché«), der indes durch Hayao Miyazakis luftiges »Das Schloss im Himmel« aufgelockert wurde. 

Ein besonders festliches Erlebnis ist es, Stummfilme auf diese Weise zu sehen. Deshalb sind beispielsweise die Bewohner Bonns besonders zu beglückwünschen, wo schon seit vielen Jahren Stummfilmtage im Arkadenhof der Universität veranstaltet werden. Das 31. Sommerkino wird heute Abend mit E.A. Duponts »Varieté« eröffnet; im Vorprogramm läuft die Laurel & Hardy-Tortenschlacht »The Battle of the Century«, die uns ja schon vor ein paar Wochen beschäftigte. Zwar laufen auch gut abgehangene Klassiker (etwa »The Kid« von Chaplin), aber mit dem Nachspielen des ewig gleichen Kanons begnügen sich die Veranstalter nicht. Es laufen unbekanntere Werke von Frank Capra und René Clair (dessen Abenteuerfilm »Die Beute des Windes« ich wirklich gern einmal sehen würde), eine Tschechow-Verfilmung von Yakov Protananov; überhaupt ist der Radius europaweit und international weit gesteckt. Die Filmauswahl ist eine bunte, aber keine beliebige Mischung. Besonders empfehlen kann ich »Liebe und Pflicht« mit der berückenden Hongkong-Diva Ruan Ligyu und »Das unverwüstliche Herz« des Japaners Hiroshi Shimizu. Dazu fällt mir ein Satz von Kevin Brownlow ein, den ich bei meinem ersten Besuch auf dem Stummfilmfestival im italienischen Pordenone hörte. Davon habe er immer geträumt, sagte er: Während alle Welt den Sommer am Strand verbringt, dürfe er ihn nun in einem dunklen Kino mit lauter Stummfilmen verbringen. Ich glaube nicht, dass er ein schlimmerer Purist als ich ist, sondern vermute, dass auch er stummes Kino unter freiem Himmel als einen prächtigen Kompromiss verstehen wird. 

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