Netflix: »Wednesday« Staffel 2

»Wednesday« (Staffel 2, 2025). © Helen Sloan/Jonathan Hession/Netflix

© Helen Sloan/Jonathan Hession/Netflix

Ikone der Nonkonformität

Was bisher geschah: Ab den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts veröffentlichte der Zeichner Charles Addams im Magazin »The New Yorker« feingestrichelte Cartoons über den Alltag einer irgendwie alteuropäisch-aristokratisch wirkenden Sippschaft, die mit ihrem Hang zum Morbiden, Makabren und Exzentrischen das satirische Gegenteil einer frischfromm-fröhlich-freien US-Vorzeigefamilie darstellte. Mit einer Fernsehserie in den Sechzigern und Kino- und Animationsfilmen gehört die Addams-Familie zur Popkultur.

Es lag nahe, à la Marvel auch einzelnen Charakteren einen eigenen Film zu widmen. Dass aber ausgerechnet Wednesday, die hohläugig-anämische Addams-Tochter, deren Lieblingsspiel das Quälen ihres Bruders Pugsley ist, zur Kultfigur aufsteigt, konnte niemand ahnen.

Die erste, 2022 veröffentlichte Staffel war die weltweit am meisten gestreamte Netflix-Serie. Zu verdanken ist dieser Erfolg zum Großteil Produzent Tim Burton, der in den meisten Folgen auch Regie führte. Er machte aus dem kleinen Mädchen Wednesday einen unleidlichen Teenager, der wider Willen auf das Internat Nevermore verfrachtet wird, wo sich einst Mutter Morticia und Papa Gomez kennenlernten. Inspiriert ist die Handlung von Harry Potters Hogwarts-Lehrzeit, aber auch von den Identitätskrisen junger X-Men-Anwärter – um nur die bekanntesten Vorbilder der anspielungsreichen Handlung zu nennen.

In der zweiten Staffel, in der auch ihr Bruder Pugsley nach Nevermore kommt, werden mit Wednesdays übersinnlichen Fähigkeiten, einem Werwolf und der Aufdeckung weiterer Familiengeheimnisse die Fäden der ersten Staffel weitergesponnen.

Anders als in Hogwarts, wo Zauberer sich von »Muggels« fernhielten, wird hier der Clash zwischen Außenseitern und den »Normies« des Städtchens Jericho blutig ausgemalt. Wednesdays Helfer, das eiskalte Händchen und der unverwüstliche Onkel Fester, bekommen noch mehr zu tun. Wie angesagt die Serie ist, zeigen prominente Neuzugänge wie Steve Buscemi und Lady Gaga. Und wie gewohnt nutzt Burton Wednesdays Coming-of-Age-Abenteuer als filmische Spielwiese, auf der er seinen Lieblingsfantasien freien Lauf lässt. Er buchstabiert das Alphabet des Horrors und des Abgründigen, darunter eine im Stil von »Corpse Bride« animierte Szene, diesmal so manisch durch, dass man sich wünscht, ein Produzent hätte diesem entfesselten Kreativen ein lautes »Stopp« entgegengesetzt. Langweilig wird einem zwar nie in diesem mit aufreizend schwarzem Humor inszenierten Potpourri aus Zombies, Krähen, Gräbern, Serienkillern und augenzwinkerndem Kink. Doch die serielle Reihung gruseliger, nur lose verbundener Anekdoten wirkt oft wie pure Effekthascherei.

Interessant wird diese Nummernrevue durch Jenna Ortega als Wednesday, die selbst in dieser Schule für Außenseiter eine Außenseiterin ist. Zu ihrem Ärger wird sie gerade deshalb von ihren Mitschülern verehrt, gar gestalkt, was witzigerweise die »Wednesday«-Begeisterung in der realen Welt spiegelt. Wunderbar kontrastiert von ihrer Freundin Enid ist Wednesday mit ihrem starren Blick und der Weigerung zu lächeln die Verkörperung des Dagegenseins – und wird dennoch zur Heldin wider Willen, gerade weil sie stur ihren Weg geht. Nerdig, introvertiert und grimmig, ihr Mantra lautet FOBI (Fear of being included) anstatt FOBA (Fear of being alone). Und wo einst coole Mädchen Metall im Gesicht trugen, da hat sie, akkurat gescheitelt und bezopft, die Frisur einer frommen Helene. Doch zum schwarzen Pelerinenmantel trägt sie die Springerstiefel eines Riot Grrrl. Eine konstante Freude sind ihre druckreifen Sätze im philosophischen Old-School-Stil und ihre vernichtenden Oneliner. Wer will, kann in dieser störrischen Außenseiterin eine Absage an modischen Psychotalk, Konsumzwang und den unter Teenies grassierenden Konformitätsdruck sehen. Fest steht, dass »Wednesday« gerade beim jungen weiblichen Publikum einen Nerv trifft – und zeigt, wie groß das Bedürfnis nach unorthodoxen Frauenfiguren ist. 

OV-Trailer

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