Netflix: »Wednesday Addams«

»Wednesday« (Serie, 2022). © Vlad Cioplea/Tomasz Lazar/Netflix

»Wednesday« (Serie, 2022). © Vlad Cioplea/Tomasz Lazar/Netflix

Eine Nebenfigur wird erwachsen

Addams Family und Tim Burton, das ist, was man ein »match made in heaven« nennt, eine natürliche Verbindung, die eigentlich schon 1991 zustande hätte kommen sollen, wäre Burton damals nicht mit »Edward mit den Scherenhänden« beschäftigt gewesen. Nachdem die 1938 von Chas Addams für das »New Yorker« Magazin als Cartoon entwickelte Satire auf die klassische amerikanische Familie über die Jahrzehnte schon alle möglichen Varianten als Realfilm und Animation, in Serie und als Kinofilm durchlaufen hat, erweitert Burton jetzt als Produzent und als Regisseur der ersten vier Folgen den Rahmen. Er folgt der inzwischen zum elternverachtenden Teenager herangewachsenen Wednesday in die Nevermore Academy, ein Internat für Außenseiter und Freaks, wie Werwölfe, Vampire, Gorgonen oder Sirenen, die aus allen »Normalo-Schulen« rausgeflogen sind.

Anfangs rächt Wednesday ihren kleinen Bruder Pugsley, indem sie den Schoolbullies, untermalt von Edith Piafs »Je ne regrette rien«, eine Tüte Piranhas in den Pool der Schule kippt. Danach wird sie in schwarzer Karosse mit blutroten Polstern in die Nevermore Academy geleitet. Mit ihrem stoischen Gemüt und fast ganz in Schwarz, mit weißen Akzenten setzt sie sich von der bunten Vielfalt ihrer Mitschüler ab. Das Drängen ihrer Mitbewohnerin, sich schnell auf Instagram, Snapchat und Tiktok zu profilieren, weist sie entschieden von sich: Die sozialen Medien halte sie für eine seelenvernichtende Leere bedeutungsloser Affirmation.

Hier erfährt sie einiges aus der dunklen Vergangenheit ihres Vaters, geht zugleich einer aktuellen Mordserie auf den Grund, profiliert sich als Superheldin, die aber zugleich lernen muss, ihre seherischen Fähigkeiten zu meistern. Alles in allem durchläuft Wednesday also ein etwas anderes Coming-of-Age.

Besonderer Clou der Serie: Christina Ricci, die als neunjährige Wednesday in der Filmtrilogie berühmt wurde, spielt mit rotem Haar eine harmlos wirkende Kunstlehrerin, die es in sich hat. Mit ausgeprägter Liebe für Außenseiter, makabren Humor, schaurig schönem Look (u. a. mit Kostümen von Colleen Atwood aus Burtons Stammteam) und dem verspielt düsteren Sound von Danny Elfman wirkt die achtteilige Netflix-Serie wie ein ausgedehnter Burton-Film. Dass Catherine Zeta-Jones und Luis Guzmán Anjelica Huston und Raul Julia aus der Spielfilmtrilogie nicht ganz das Wasser reichen können, ist nicht so schlimm, da die Serie mit völlig neuem, an die X-Men erinnerndem Personal vom Herrenhaus neben dem Friedhof in die Nevermore Academy, die umliegenden Wälder und die nahegelegene Normalo-Kleinstadt Jericho verlagert ist. Dabei entledigt sich Burton ganz nebenbei aller Rassismusvorwürfe, die ihm das rein weiße, schaurig bleiche Personal seiner Filme im woken Zeitgeist eingebracht haben, denn das Internat ist mit »pupils of color« in allen Variationen bevölkert und Wednesday selbst nicht nur durch die Besetzung mit Jenna Ortega eindeutig als Latina erkennbar.

Auch sonst ist die Titelheldin, die bisher nur Nebenfigur im Familienverbund war, sanft modernisiert, ohne die Traditionen zu verraten. Als eigenwilliges, starkes Mädchen mit hoher Intelligenz, ausgeprägter Meinungsstärke und entschiedener Gleichgültigkeit für das, was andere von ihr denken könnten, ist sie das perfekte Vorbild für junge, moderne Frauen und damit auch ein Gruß von Drehbuchautoren und Regisseur an ihre eigenen Teenagertöchter.

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