VoD-Tipp: »Letzter Abend«

© Filmwelt Verleih

Sehnsucht nach unbeschwerter Nähe

Es ist ein besonderer Weg, den der Film »Letzter Abend« gegangen ist. Im Sommer 2020 drehte Filmstudent Lukas Nathrath spontan mit einem kleinen Team und fast keinem Budget innerhalb von einer Woche in einer leerstehenden Wohnung seinen ersten Spielfilm. Es folgte eine überraschende Weltreise zu mehreren Filmfestivals, einschließlich des First Look Award in Locarno 2022 und des Preises für die beste Regie beim Max Ophüls Preis 2023.

Im Mittelpunkt stehen Clemens (Sebastian Jakob Doppelbauer, der zusammen mit Nathrath auch das Drehbuch geschrieben hat) und Lisa (Pauline Werner). Die beiden sind ein junges Paar, das von Hannover nach Berlin zieht und ein Abschiedsessen mit Freunden veranstaltet. Der Abend gerät jedoch rasch aus dem Ruder: Eingeladene Gäste sagen ab, ungeladene Personen tauchen auf, und aus harmlosen Gesprächen wird handfester Streit.

Sehr deutlich verortet sich der Film in der Zeit der Corona-Pandemie, Masken und Desinfektionsmittel sind stets präsent. Gleichzeitig ist es das Porträt einer jungen Generation aus eigentlich gut situiertem Bildungsbürgertum, die aber gerade während dieser Zeit mit psychischen Problemen und Orientierungslosigkeit zu kämpfen hat. Die teilweise improvisiert wirkenden Dialoge sind sehr lebensecht geraten. Das ist nicht nur angenehm, denn der Film kreiert ganz bewusst Momente der Fremdscham und präsentiert inhaltslosen Small Talk, um den im Kino gern mal einen Bogen gemacht wird, obwohl er vielen Zuschauer:innen nur allzu bekannt sein dürfte und viel über die Charakterzüge von Personen zu erzählen vermag. Deutlich wird, dass sich alle Figuren hinter einer Fassade verstecken. Das Badezimmer fungiert wiederholt als Rückzugsort, wo sich Emotionen Bahn brechen.

Einige in den Gesprächen auftauchende Bezüge zu Themen wie Gendern, Kunstfreiheit oder Deutschsein werden etwas phrasenhaft eingebaut, wie so oft erweist es sich als Herausforderung, alle Handlungsstränge und Charakterzeichnungen komprimiert und schlüssig zusammenzuhalten. Die meiste Zeit aber ist die Szenerie sehr stimmig. Die bewegliche Kamera von Philip Jestädt ist oft mitten im Geschehen und vermittelt den Zuschauer:innen das Gefühl, selbst vor Ort zu sein. In schnellem Wechsel werden Close-ups und Gruppenansichten der Anwesenden zusammengeschnitten. Was eine Person sagt, bekommt so eine direkte Spiegelung. Das gibt dem Film seinen ganz eigenen Rhythmus und erzeugt sowohl Komik als auch Tragik. Gnadenlos werden die sozialen Unsicherheiten aller Beteiligten offengelegt.

Besonders bei Clemens ist Traurigkeit bestimmend. Er hat mit Depressionen zu kämpfen, was auch seine Beziehung zu Lisa belastet. Gerade am Ende, wenn beide allein sind und die Hektik des Abends abgeklungen ist, zeigen sich ihre Gefühle mit berührender Intensität. Trotzdem ist »Letzter Abend« nicht nur bedrückend. In einer spontanen Tanzszene etwa wird genau das Gefühl von Fröhlichkeit und unbeschwertem Zusammensein eingefangen, das viele während der Pandemie vermissten. Ein starkes Debüt, das Lust auf mehr macht.

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