Sky: »True Detective: Night Country«

»True Detective – Night Country« (Serie, 2024). © Home Box Office, Inc.

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Befreiungsschlag im eisigen Dunkel

»Twist and Shout« dröhnt es aus dem Fernseher, als Polizeibeamtin Liz Danvers in die Forschungsstation der Kleinstadt Ennis in Alaska kommt. Acht Wissenschaftler sind spurlos verschwunden. Nur auf dem Flipboard steht in krakeligen Großbuchstaben: »Wir sind alle tot.« Unter dem Küchentisch wird eine abgeschnittene Zunge gefunden, die gehört einer indigenen Frau, das erkennt Danvers an den typischen Einritzungen. Und nun versucht sie, den Fernseher zum Schweigen zu bringen, »Twist and Shout«. Eine Vorahnung auf das, was kommt. Kurz darauf tauchen die Leichen der Männer auf, draußen im ewigen Eis, mit vor Schrecken offenen Mündern nackt zusammengefroren zu einer monströsen Skulptur. Starr und still.

»True Detective: Night Country« beginnt verheißungsvoll mysteriös und düster. Schon die ersten Minuten setzen den Ton, der sich deutlich von den bisherigen Staffeln der Anthologie-Thrillerserie unterscheidet. Nach der sensationellen Premiere 2014 mit Matthew McConaughey und Woody Harrelson als Polizistenduo, das in Louisiana Ritualmorde aufklärte, konnte Serienerfinder Nic Pizzolatto mit den beiden folgenden, erst in Los Angeles, dann in Arkansas angesiedelten Fällen und jeweils neuen Detectives an den ersten Erfolg nie wieder ganz anschließen.

Nach fünfjähriger Pause nun statt schwüler Hitze im Süden also ein abgeschiedener Ort jenseits des Polarkreises, an dem fast permanent Eis und Dunkelheit herrschen. Statt verschachtelten Handlungssträngen eine chronologische Erzählung. Und statt Männern auf Verbrecherjagd nun Ermittlungen in Frauenhand. Die mexikanische Regisseurin Issa López, die alle sechs einstündigen Episoden von »Night Country« geschrieben und inszeniert hat, hält sich nicht lange auf mit Erbe und Traditionen der Vorgänger. Ein Befreiungsschlag.

Danvers, herrlich grantig gespielt von Jodie Foster, wurde in die eisige Einöde zwangsversetzt. Einen guten Draht hat sie hier zu niemandem, auch nicht zu ihrer rebellischen Stieftochter Leah (Isabella Star LaBlanc), deren Eigensinn sie mit Verboten begegnet. Bei den Recherchen zum bizarren Tod der Wissenschaftler, die in der Arktis nach dem Ursprung des Lebens forschten, stößt sie bald auf Verbindungen zu einem lange zurückliegenden Mord an einer lokalen Umweltaktivistin, der nie aufgeklärt wurde.

An dem Fall hatte Danvers damals mit einer Kollegin gearbeitet, Evangeline Navarro (verkörpert von Kali Reis, einer ehemaligen Profiboxerin und indigenen Aktivistin), mit der sie seitdem eine gegenseitige Abneigung verbindet. Und nun müssen die beiden taffen Polizistinnen erneut zusammenarbeiten. Wie Foster und Reis diese beiden Figuren in all ihren Widersprüchlichkeiten spielen, macht einen erheblichen Teil des Reizes aus. Und man kommt kaum umhin, bei Danvers erfahren-schneidigem Auftreten an eine Art Reinkarnation von Clarice Starling zu denken, jener von Foster vor mehr als 30 Jahren gespielten Nachwuchsagentin, die in »Das Schweigen der Lämmer« ihr Leben riskierte, um einen Serienkiller zur Strecke zu bringen.

Den Krimiplot bettet die Serie in ein spezifisches soziopolitisches und kulturelles Setting, verbindet das Erbe der lokalen Ureinwohner, der Inupiaq, mit Klimaaktivismus und verhandelt Rassismus und Identitätsfragen, Alkoholismus und häusliche Gewalt. Das Gesellschaftspolitische und das Private sind dabei verwoben, wenn etwa Danvers lesbische Tochter ihre indigenen Wurzeln entdeckt und sich radikalisiert. Im Laufe der Zeit entspinnt sich so ein Netzwerk aus Beziehungen und scheinbaren Nebenschauplätzen, die sich doch als Puzzleteile in der Aufklärung erweisen.

Dabei spielt López mit Übersinnlichem und regionalen Mythen, teils auch wenig zimperlich mit Horrorelementen und kreiert so in atmosphärisch dichten Bildern eine Stimmung permanenter Bedrohung. Da taucht in finsterer Nacht immer wieder ein einäugiger Eisbär auf, manchen Bewohnern erscheinen verstorbene Angehörige. Dabei bleibt bewusst offen, ob es sich letztlich um kulturell erklärbare Visionen und durch Traumata bedingte Wahnvorstellungen handelt. Die Bewohner von Ennis sind im Hier und Jetzt und mit der Natur ebenso verhaftet wie mit der Totenwelt verbunden.

Damit erinnern die sechs Folgen immer wieder an »Twin Peaks«, David Lynchs Mysteryserie Anfang der 1990er, mit der Kleinstadt, ihren skurrilen Figuren und absonderlichen Dingen, die dort vor sich gingen. Das Konzept wurde damals schnell als Comedy kopiert, die just im gleichen Landstrich spielte wie jetzt López' Staffel: »Ausgerechnet Alaska!« Bisweilen wirkt »Night Country« wie ein Wiedergänger, drei Dekaden später, nur sehr viel düsterer und sehr viel abgründiger. Die Ereignisse in Ennis hätten vermutlich sogar FBI-Agent Dale Cooper das Fürchten gelehrt.

OV-Trailer

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