DVD-Tipp: »Die dunkle Seite des Kinos. Unvergessliche Klassiker des Film noir«

»Stadt ohne Maske« (1948). © Pidax

»Stadt ohne Maske« (1948). © Pidax

Wo die Nacht am tiefsten ist

Der Filmkritiker Enno Patalas beschrieb 1960 eine gewisse Tendenz im französischen Film: Misogynie. Er erkannte sie im notorischen Rollenbild der Femme fatale. Eine Box mit 18 Filmen des Noir-Genres macht diese Beobachtung nachvollziehbar. Der von ihm einschlägig kritisierte Kriminalfilm »Tatort Paris« ist enthalten, in dem Lino Ventura als etwas ruppiger, genügsamer Zeitungsverkäufer Pascal in eine abgefeimte Intrige verwickelt wird, erklügelt von einer so eleganten wie undurchsichtigen Dame des gehobenen Bürgertums. Zur Sicherung ihres Luxuslebens schreckt Catherine (Andréa Parisy) vor Mord nicht zurück und hat den arglosen Pascal als Sündenbock auserkoren. Ähnlich ergeht es Daniel Gélin in »Luzifers Tochter«. Er kommt, wie Ventura in »Tatort Paris«, spontan einem Fremden zu Hilfe. Daraufhin gerät er in den Bann von dessen Ehefrau Hélène (Michèle Morgan) und erliegt ihr trotz ihres eisigen Charakters.

Eine Frauenbekanntschaft der fatalen Art macht auch Lex Barker im US-Kriminalfilm »Schonungslos«. Seiner Gegenspielerin Merle Oberon allerdings wird mehr Gefühl zugestanden als den französischen Verführerinnen. Die erfolgreiche Geschäftsfrau verursacht einen Unfall und vertuscht den Vorfall, zum Nachteil Barkers, den sie von einem Mordverdacht entlasten könnte. Doppelt verzwickt wird die Affäre, als sich die beiden ineinander verlieben.

Zweifach ist der unabhängige Hollywoodproduzent Mark Hellinger in der Sammlung vertreten, mit dem düsteren Gefängnisfilm »Zelle R 17« und dem semidokumentarischen Polizeikrimi »Stadt ohne Maske«. Bei beiden zeichnete Jules Dassin als Regisseur, beide enden böse. An dem 1948 gedrehten, ab 1958 als anthologische TV-Serie fortgeschriebenen Polizeikrimi »Stadt ohne Maske« lässt sich exemplarisch aufzeigen, dass unterhalb der Ebene der opulenten Atelierfilme typische Stilmittel der französischen Nouvelle Vague bereits vor deren Entstehen Anwendung fanden: wenig Studioaufnahmen, (pseudo-)realistische Milieus, dokumentarisch anmutende Kameraarbeit, natürliche Darstellung. In diese Kategorie gehört auch »Tiger Bay« des Briten J. Lee Thompson. Im Affekt zum Mörder geworden, muss sich ein von Horst Buchholz gespielter Matrose bis zum Auslaufen des Schiffes verbergen, wobei er von einem elfjährigen Mädchen gedeckt wird. Der Film entstand an Originalschauplätzen im Hafen von Cardiff. Hayley Mills, damals zwölf Jahre alt, wurde 1959 bei den Berliner Filmfestspielen mit einem Silbernen Bären prämiert.

Der Amerikaner Cy Endfield, wie Jules Dassin ein Opfer der McCarthy-Ära, arbeitete nach 1951 in Großbritannien und inszenierte dort unter anderem »Duell am Steuer«, ein bitteres Drama unter Lkw-Fahrern, die gleichsam im Akkord arbeiten, ohne Rücksicht auf Mensch und Maschine. Ein Ex-Häftling (Stanley Baker) gerät dabei in einen mörderischen Konkurrenzkampf. Kuriosum: Drei Schauspieler, die mit dem Agentengenre berühmt wurden, zeigen hier ganz andere Seiten: Patrick McGoohan, David McCallum, Sean Connery. Kurz bevor er mit der James-Bond-Figur seinen großen Durchbruch hatte, war Connery 1961 auch in »Die Peitsche« zu sehen, einem Gangsterfilm mit einer ungewöhnlichen Umkehrung gängiger Geschlechterinszenierungen. Connery duscht, eine Freundin betritt den Raum, schaut nicht weg – er wird für die Filmfigur wie für die Kamera zum erotischen Objekt.

Auch das westdeutsche Kino hatte seine Femme fatale. In Rudolf Jugerts »Nachts auf den Straßen« lockt Hildegard Knef den Berufskraftfahrer Hans Albers mit treuherzigem Augenaufschlag auf die schiefe Bahn. Der aus der Emigration heimgekehrte Robert Siodmak, der in Hollywood mehrfach zum Noir-Genre beigetragen hatte, betreute wiederum 1955 eine zeitgenössische Version von Gerhart Hauptmanns »Die Ratten«. Produzent Artur Brauner schreibt in seinen Memoiren, er habe keine Finanziers gefunden für das Projekt, das im tristen geteilten Berlin der frühen Fünfziger angesiedelt war und nicht in die Ära der Heimat- und Revuefilme passen wollte. Letztlich trug er die Kosten alleine. Und verbuchte einen Kassenerfolg. Maria Schell zögerte, die Hauptrolle anzunehmen, weil der Part eines polnischen, wüst schimpfenden Flüchtlingsmädchens, das aus Not sein unehelich geborenes Kind weggeben muss, nicht ihrem Image entsprach. Eine umgehende Zusage kam dagegen laut Brauner von Curd Jürgens, der sich freute, einmal nicht den Draufgänger und Herzensbrecher mimen zu müssen.

Abgerundet wird die Box durch die deutschen Fernsehspiele »Detective Story – Polizeirevier 21« und »Stunden der Angst«. Beides Adaptionen US-amerikanischer Vorlagen, in beiden findet das Geschehen in überschaubarem Rahmen statt. Ein Beispiel auch dafür, dass Fernsehen und Kino nicht als Gegensatz zu begreifen sind.

 

Die dunkle Seite des Kinos. Unvergessliche Klassiker des Film noir. Filmbox mit 18 Filmen auf 9 DVDs. Anbieter: Pidax.

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