Streaming-Tipp: »Tigertail«

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Blick zurück in Melancholie

Filme, die Geschichten von der Einwanderung nach Amerika erzählen, sind so alt wie das Medium selbst – schließlich wäre die Traumfabrik Hollywood selbst ohne Immigration undenkbar. Es ist ein Narrativ, das aus allen erdenklichen Perspektiven, in jedem Stil und Genre inszeniert wurde. Und doch verlieren Migrationsgeschichten mit dem Ziel USA nicht an Relevanz – ganz besonders nicht in Zeiten, in denen vermeintliche politische Gewissheiten bröckeln und der Traum vom besseren Leben in der Neuen Welt in vielerlei Hinsicht seinen Glanz eingebüßt hat. Der Film »Tigertail«, das Debüt des taiwanesisch-amerikanischen Regisseurs und Autors Alan Yang, reiht sich ein in diese alte Tradition und folgt zugleich einem neueren Trend: ähnlich wie zuletzt »Crazy Rich Asians« und »The Farewell« stellt »Tigertail« die ost-asiatische Community der USA in den Mittelpunkt.

Die Verbindung zu Lulu Wangs »The Farewell« ist besonders deutlich, übernimmt doch der Schauspieler Tzi Ma die Hauptrolle, der schon in Wangs Film als gelassene Vaterfigur beeindruckte. Allerdings geht Yang in seinem Regiedebüt deutlich ernster und melancholischer zu Werke als »The Farewell«. »Tigertail« erzählt die Geschichte von Pin-Jui, einem geschiedenen Mittfünfziger, der in New York lebt und ein schwieriges Verhältnis zu seiner erwachsenen Tochter Angela (Christine Ko) pflegt. Zu Beginn des Films kehrt Pin-Jui gerade von einer traurigen Reise in seinen taiwanesischen Heimatort Huwei (auf Englisch: Tigertail) zurück, wo er der Beerdigung seiner Mutter beigewohnt hat. Zurück in seinem leeren Haus überwältigen ihn die Erinnerungen an seine Jugend in Taiwan und die anschließende Auswanderung, für die er damals seine große Liebe Yuan (Yo- Hsing Fang) zurückließ.

Yang inszeniert die ausgiebigen Rückblenden in sinnlichen Primärfarben, die in scharfem Kontrast zum eher grauen Look der gegenwärtigen Szenen stehen. In der Nacherzählung von Pin-Juis Jugend und den Treffen mit Yuan findet »Tigertail« seine besten Momente. Gemeinsam teilen die beiden Jugendlichen ihre Faszination für amerikanische Kultur – er liebt Faye Dunaway, sie Otis Redding – und träumen von einer gemeinsamen Zukunft. Dann aber kommt alles ganz anders: Der Chef der Fabrik, in der Pin-Jui und seine Mutter arbeiten, bietet dem jungen Mann eine arrangierte Ehe mit seiner eher spröden Tochter Zhenzhen an; mehr noch, er offeriert, dem Paar die Einwanderung nach Amerika zu finanzieren. Schweren Herzens nimmt Pin-Jui das Angebot an, aber zwischen Zhenzhen und ihm will es einfach nicht funken.

»Tigertail« erzählt seine schwermütige Geschichte mit großem Ernst, vermag es aber nicht, den Drang der ersten Hälfte aufrechtzuerhalten. Vor allem die letzte halbe Stunde, bei der es sich um die Versöhnung zwischen Vater und Tochter dreht, verfällt in Klischees und sorgt mit extremer Langsamkeit für Ernüchterung. Nichtsdestotrotz ist Yang mit seinem ersten Film ein herzlicher, berührender Eintrag in den Kanon der US-amerikanischen Migrationsgeschichten gelungen.

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