Streaming-Tipp: »Da 5 Bloods«

OmU © Netflix

Blick zurück im Zorn

Die Veteranen in Spike Lees »Da 5 Bloods«, die nach 50 Jahren noch einmal gemeinsam nach Vietnam fahren, haben den Krieg nie ganz verarbeitet, das zeigt schon eine kleine Szene zu Beginn des Films. Nach dem ersten Wiedersehensdrink verlassen die vier Männer eine Bar und werden auf der Straße von dem kleinen Jungen, der sie zuvor um Geld angebettelt hatte, mit einer Salve Knallkörper überrascht. Reflexartig werfen sich die Männer zu Boden, ihre Körper reagieren, als wären sie noch immer auf dem Schlachtfeld.

Es ist der Beginn einer zweieinhalbstündigen Geschichtsstunde, die der 63-jährige New Yorker Spike Lee in ein cineastisches Bündel aus Kriegsfilm, Buddy Comedy, Vater-Sohn-Drama und Agitprop verpackt. In 156 Minuten spannt er dabei den Bogen von der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre bis zu #BlackLivesMatter heute und zeigt, wie sich Geschichte wiederholt und strukturelle Diskriminierung fortsetzt.

Immer wieder verortet er den Plot um die vier Männer im historischen Kontext, fügt kurze dokumentarische Aufnahmen mit Reden und Interviews, etwa von Malcolm X und Muhammad Ali, ein.

Paul (Delroy Lindo), Otis (Clarke Peters), Melvin (Isiah Whitlock Jr.) und Edie (Norm Lewis) kämpften zusammen im Vietnamkrieg und kehren noch einmal zurück, um einen Haufen Goldbarren zu bergen, den sie damals versteckt hatten, und um die sterblichen Überreste ihres gefallenen Kameraden Norman zu finden. Die zentrale und widersprüchlichste Figur ist dabei Paul, der mit Schuld ebenso hadert wie mit all dem Unrecht, das ihm ein Leben lang widerfahren ist, und der gegen alle Vernunft trotzdem Trump wählt. Ein Schmerzensmann mit einem gottgewaltigen Monolog am Ende, der umhaut und lange nachhallt.

Das Budget des in Thailand gedrehten Films lag deutlich höher als bei Lees letzten Produktionen, trotzdem musste er Abstriche machen. Statt die Schauspieler wie zuletzt bei Scorseses »The Irishman« digital zu verjüngen, lässt Lee sie ohne Maske und ohne Erklärung auch die 50 Jahre jüngeren Versionen ihrer Figuren spielen. Dieser Verfremdungseffekt ermöglicht dem Zuschauer eine kritische Dis­tanz zum Geschehen und greift zugleich das zu Beginn des Films etablierte Motiv nicht verarbeiteter Traumata wieder auf, die sich im Leben der Männer durch Süchte, Krankheiten und gescheiterte Beziehungen manifestierten. 

Immer wieder baut Lee filmische Referenzen ein; die Bar in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, heißt »Apocalypse Now«; Wagners Walkürenritt, mit dem Coppola damals die Sequenz mit den Kampfhubschraubern bombastisch untermalte, lässt Lee ertönen, als die Senioren mit einem Ausflugsboot langsam den Fluss entlangzuckeln. Ein Dialog über »Rambo« kritisiert den Revisionismus Holly­woods, dem Lee den ersten Vietnamfilm mit ­schwarzen Protagonisten entgegenstellt – ­­Ende der Sechziger waren elf Prozent der US-Bevölkerung Afroamerikaner, sie stellten aber ein Viertel der Vietnamrekruten.

Im Mai hätte »Da 5 Bloods« auf dem dann coronabedingt abgesagten Cannes Film Festival Weltpremiere feiern sollen, wo Lee der erste schwarze Jury-Präsident gewesen wäre, jetzt läuft der Film weltweit auf Netflix. Auch wenn er nun als hochaktueller Beitrag zur Rassismusdebatte daherkommt, reicht die Genese des Stoffes bis 2013 zurück. Danny Bilson und Paul De Meo hatten ein Drehbuch über weiße Vietnamveteranen verfasst, eine Weile arbeitete Oliver Stone an einer Adaption, sprang aber wieder ab. Als Produzent Lloyd Levin den Stoff daraufhin Spike Lee anbietet, schreibt dieser zusammen mit Co-Autor Kevin Willmott (»BlacKkKlansman«) die Protagonisten in schwarze Soldaten um und macht aus dem Actionplot eine multiperspektivische Reflexion über Rassismus. Der große Dialektiker wirft dabei viel in den Topf, nicht alles passt zusammen und manches ist überzeichnet, doch er macht es so kompromisslos, wütend und zwingend, gerade in den Widersprüchen, dass der Film immer wieder mitreißt und verstört.

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