Wir sind drin! – Virtual Reality durch Oculus Rift & Co.

Ins Gebirge mit dem Oculus Rift: »Zero Point«

Ins Gebirge mit dem Oculus Rift: »Zero Point«

Seit mehr als zwanzig Jahren wird sie uns versprochen: die »virtuelle Realität«, die perfekte digitale Spielwelt, der Film, in dem wir selbst zum Handlungsträger werden. Und jetzt scheint es auch was zu werden: mit den neuen Datenbrillen fühlt man sich ein bisschen wie in Star Treks Holodeck

Katharina ist gerade frisch aus dem Ei geschlüpft. Als sie sich in ihrem Nest umsieht, erblickt sie eine urtümliche Lichtung, umringt von Bäumen, Felsen und großen Farnen. Eine Libelle kommt herangeflogen. Katharina folgt ihr mit dem Blick und zuckt zusammen, als das Insekt einmal direkt gegen ihren Kopf fliegt. Plötzlich ein Grollen in der Ferne. Ein riesiger Tyrannosaurus erscheint auf der Lichtung, nähert sich dem Nest und brüllt ihr ins Gesicht. Jemand ruft Katharina zu: »Du musst den Kopf drehen!« Sie blickt nach links und rechts, doch der Dino hört nicht auf zu brüllen. Dann spürt sie die Finger an ihrem Kopf, die ihr behutsam den richtigen Neigungswinkel weisen. Jetzt plötzlich neigt der Tyrannosaurus ebenfalls den Schädel. Die Dino-Mama hat ihr Kind erkannt und macht sich aus dem Staub. Film zu Ende. Katharina kann das Headset abnehmen und befindet sich wieder in Stuttgart.

Virtual Reality. Spätestens seit den frühen 1990er Jahren und dem Film »Der Rasenmähermann« sind die beiden Wörter und die Abkürzung VR im populären Bewusstsein sowohl mit der ultimativ-immersiven Computerwelt als auch mit einer gigantischen Enttäuschung verknüpft. Denn die digitale Simulation erreichte eben nie die Mühelosigkeit, die in zahlreichen Science-Fiction-Szenarien versprochen wurde, von David Cronenbergs »Existenz« bis zum Holodeck in »Star Trek: The Next Generation«. Stattdessen blieb lange alles frustrierend klobig – sowohl die unhandlichen Brillen, die man für VR-Erlebnisse aufziehen muss, als auch die Grafik der virtuellen Räume, die es zu entdecken gab.

Dass in diesem Jahr Fachkonferenzen wie die FMX in Stuttgart, auf der auch die Firma Crytek ihr Werk »Return to Dinosaur Island« ausstellt und Menschen die richtigen Kopfbewegungen weist, ganze Sektionen dem Thema Virtual Reality widmen, dass seit gut zwei Jahren wieder ernsthaft darüber diskutiert wird, ob wir kurz davor stehen, die nächste Stufe der Entertainment-Evolution zu erklimmen, ist zwei weiteren Worten zu verdanken, ohne die der Boom vermutlich nie noch einmal so losgebrochen wäre: Oculus Rift.

Oculus Rift Prototyp (2012)

Die VR-Brille dieses Namens ist eine klassische Erfolgsgeschichte der Technikbranche. Oculus-Gründer Palmer Luckey sammelte 2012 insgesamt 2,4 Millionen Dollar auf Kickstarter ein, um ein Headset zu bauen, das sich Entwicklungen im Smartphone-Bereich zunutze machte. Einfach gesagt bestand der Prototyp des Rift aus zwei nebeneinander montierten LCD-Bildschirmen, wie sie auch in modernen Handys verbaut sind, kombiniert mit Sensoren, wie sie mittlerweile ebenfalls in vielen Geräten genutzt werden – vom Gyroskop, das Neigungen erkennt, bis zum Beschleunigungssensor, der Bewegungen wahrnimmt.

Für wie bedeutend die neue Technik gehalten wird, wurde spätestens deutlich, als Oculus im März 2014 für 2,3 Milliarden Dollar von Facebook gekauft wurde. Mittlerweile existiert bereits die zweite Version eines »Developer Kits«, für das fleißig Anwendungen programmiert werden. Die Massenmarkt-Version wurde immer wieder verschoben und ist derzeit für Anfang 2016 angekündigt. Die stereografische Realitätssimulation des Geräts ist noch lange nicht perfekt, die Pixel sind noch deutlich sichtbar, aber der Effekt des Eintauchens in eine fremde Welt, gerne mit dem Buzzword »Immersion« bezeichnet, reicht schon aus, um Nutzerinnen und Nutzer nach kurzer Zeit vergessen zu lassen, wo sich ihr realer Körper eigentlich gerade befindet.

In der Filmwelt lässt die heraufziehende VR-Ära die alten Demarkationslinien zwischen Realismus und Budenzauber wieder stärker aufleuchten denn je. Die ersten Filme, die für das Oculus Rift entstanden, setzten auf Aufnahmen, die mit stereoskopischen, aber weitgehend statischen 360-Grad-Kameras aufgezeichnet wurden. Der Computer setzt dabei mehrere weitwinklig aufgenommene Bilder per Algorithmus zu einer durchgängigen »Bildkuppel« zusammen, die einen vollständig umgibt und nur bei genauem Hinsehen ihre Nähte sichtbar werden lässt. In Filmen wie dem zwanzigminütigen »Zero Point« von 2014 wird man so mit möglichst wenigen Schnitten durch eine Reihe von abgefilmten Szenarien geleitet – vom hektischen Eingangsbereich eines Einkaufszentrums bis zur amerikanischen Prärie, in der eine Herde Büffel den User neugierig beäugt. Der Unterschied zu den Arbeitern der Brüder Lumière, die die Fabrik verlassen, besteht im Grunde darin, dass man sich eigenständig umsehen kann. Beeindruckend, aber nicht neu.

Ein alternativer Ansatz, der auch von der Firma Oculus selbst verfolgt wird, rückt das Filmemachen hingegen näher denn je an die Games-Branche heran: Filme wie »Return to Dinosaur Island« erzählen ihre Geschichten vollständig in einer computergenerierten Welt. Der Zuschauer wird zu einem Teil dieser Welt und kann sich mehr oder weniger frei in ihr bewegen. Das verändert die Beziehung zwischen »Regie« und »Publikum« nachhaltig und die filmische Sprache genauso.

An die Stelle von Schnitten und Kamerabewegungen treten subtilere Impulse, die sich unsere Instinkte zunutze machen und den Konsumenten so durch die Geschichte führen. Im Kurzfilm »Lost«, den Ex-Pixar-Animator Saschka Unseld (»Der blaue Regenschirm«) für die Oculus-Filmwerkstatt »Story Studio« entwickelt hat, bringt ein durchs Bild fliegendes Glühwürmchen – der hellste Punkt in einem dunklen Wald – einen fast automatisch dazu, in eine bestimmte Richtung zu schauen. Auf die gleiche Art können präzise platzierte Geräusche und cleveres virtuelles Set Design als Führungslinien für den Blick fungieren. Die Handlung läuft eben erst dann weiter, wenn derjenige, der das Headset trägt, bereit dafür ist.

»Lost« (2015)

Genau bei dieser Pseudo-Interaktivität verwischt aber auch die Grenze zwischen Film und Videospiel endgültig. Je mehr Freiheit man dem Nutzer lässt, desto größer wird die Gefahr, dass dieser von der Geschichte nichts mitbekommt. DreamWorks stellte auf der New York Comic Con 2014 ein »Drachenzähmen leicht gemacht«-VR-Erlebnis vor, in dem man auf einem Drachen reitet und mit Kopfbewegung dessen Flug steuert. Das Modul enthält eine an den Film angelehnte Handlung, die man aus der Luft verfolgen kann. Viele Nutzerinnen und Nutzer waren aber genauso zufrieden damit, ihre Zeit auf dem Drachen damit zu verbringen, über dem endlosen Meer hin und herzukreuzen.

Die Herausforderungen des Geschichtenerzählens sind nicht die einzigen Probleme, mit denen VR im Moment noch zu kämpfen hat. Bewegung durch den virtuellen Raum ganz ohne Rückkopplungsmoment aus der realen Welt, zum Beispiel durch ein Laufband, führt bei vielen Menschen schnell zu »Motion Sickness«. Und für das Kino stellt sich natürlich die ernste Frage, ob die Zukunft des Mediums wirklich in einer Technologie liegen soll, die den einzelnen Konsumenten optisch und akustisch völlig von der Außenwelt abschneidet und ein Gemeinschaftserlebnis unmöglich macht.

Gerade im Games-Bereich aber scheint die Entwicklung in Richtung VR unaufhaltsam. Ego-Shooter-Fans lecken sich ohnehin seit Jahren die Finger danach und am anderen Ende des Spektrums bringen Firmen wie Samsung und Google bereits Brillenmodule für das Smartphone auf den Markt, mit denen einfache VR-Spiele möglich sind.

Die nächste Evolutionsstufe wartet am Horizont: Microsoft überraschte die Tech-Welt im Januar mit der Vorstellung der »HoloLens«, einer Brille, die virtuelle Objekte für jeden Träger gleichermaßen im realen Raum platziert und sogar deren Manipulation mit den Händen erlaubt. Wenn »Holo« schon im Titel auftaucht, kann es bis zur Erfüllung der »Star-Trek«-Fantasie ja nicht mehr weit sein.

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