Nahaufnahme von Helen Mirren

Die Macht steht ihr gut
Helen Mirren als russische Zarin in der HBO/Sky-Produktion »Catherine the Great« © Sky UK Ltd

Helen Mirren als russische Zarin in der HBO/Sky-Produktion »Catherine the Great« © Sky UK Ltd

Die Rollen der Herrscherinnen, von ­Katharina der Großen bis zu Elisabeth II., haben Helen Mirren gewissermaßen zur Königin des Schauspiels gemacht. Der Kampf gegen die Abziehbilder, die sich Männer von Frauenrollen machen, bildet ein wiederkehrendes Thema in ihrer 50 Jahre währenden Kinokarriere

Whitfield Cook (Danny Huston) macht keinen Hehl draus, dass er Alma Reville (Helen Mirren), die Ehefrau Alfred Hitchcocks, verführen möchte. Sie begreift es sofort – und sie versteht auch, dass es Whitfield dabei ebenso sehr um ihren Mann wie um sie selbst geht. Aber das spielt erst einmal keine Rolle. Was Alma reizt, ist die Aufmerksamkeit, die Whitfield ihr widmet, eine Aufmerksamkeit, die Hitchcock ihr schon seit längerem nicht mehr schenkt. Also lässt sie sich auf den Flirt ein. Auch die Arbeit an seinem Drehbuch macht ihr sichtlich Spaß, denn sie erinnert Alma an die späten 20er Jahre, als sie mit Hitchcock und anderen, damals viel berühmteren Regisseuren zusammengearbeitet hat. Sie erzählt Whitfield, dass sie Mitte der 20er Jahre, als sie Hitchcock in den Islington-Studios kennengelernt hat, dessen Vorgesetzte war. Er musste sich erst einmal zum Regieassistenten hocharbeiten, bevor er den Mut fasste, sie zu einem ersten Date einzuladen.

Wenn Alma in Sacha Gervasis »Hitchcock« von diesen Anfängen erzählt, geht es jedoch nicht darum, dass in den 20ern alles besser gewesen wäre. Das war es sicher nicht. Aber damals gab es Spielräume für Frauen in der Filmindustrie, die Ende der 50er fast verschwunden sind. Dieses Mehr an Möglichkeiten, diese Freiheit, die sie einmal gespürt hat, will sich Alma wieder zurückerobern. Genau an diesem Punkt überschneiden sich die Rolle und die Karriere Helen Mirrens.

In den späten 60er Jahren stand die 1945 in London als Helen Lydia Mironoff geborene Schauspielerin und spätere Oscarpreisträgerin erstmals vor einer Filmkamera. Seither war jeder ihrer Auftritte ein stetes Ringen um die Freiheiten, die sich Schauspielerinnen bieten oder die sie sich einfach nehmen müssen. Ein halbes Jahrhundert liegt zwischen Mirrens Spielfilmdebüt in Michael Powells »Das Mädchen vom Korallenriff« (1969) und ihrer Darstellung von »Catherine the Great« in Nigel Williams' aktueller, für Sky und HBO produzierter Miniserie. Viel hat sich in diesen 50 Jahren verändert im Film- und Fernsehgeschäft. Aber Helen Mirren ist sich in der Art, wie sie an ihre Rollen herangeht, wie sie sich geschickt allen vorherrschenden Klischees entzieht, gleichgeblieben.

Auf ihre jeweils eigene Weise sind die noch minderjährige Cora, »Das Mädchen vom Korallenriff«, und die russische Zarin typische Männerfantasien. Die eine wird durch ihre absolut natürliche Art zur Muse für einen alternden Künstler. Die andere ist so etwas wie das Schreckbild der männerverschlingenden und -mordenden Herrscherin. Doch diese simplen, eine Frau entweder idealisierenden oder eben dämonisierenden Vorstellungen unterläuft Helen Mirren mit spielerischer Leichtigkeit. In Michael ­Powells Künstlerporträt ist sie viel mehr als nur das tropische Naturkind, das zum Objekt männlicher Begierde wird. Coras großer Wunsch ist es, ihr Leben selbst zu bestimmen, und genau den erfüllt sie sich. Der von James Mason gespielte Maler mag glauben, dass er sie zu seiner Muse auserkoren hat. In Wirklichkeit ist sie es, die ihn erwählt und sich so aus der Enge ihres Lebens befreit.

Mirrens Katharina die Große steht einmal an einem Fenster ihres Palasts und verfolgt die öffentliche Hinrichtung eines Mannes, den sie zum Tode verurteilt hat. Eine Zeit lang hält ihr Blick dem grausigen Geschehen stand. Doch dann schließt sie die Augen. Es sind Gesten wie diese, mit denen sich Helen Mirren dem Sensationalismus der fortwährend überhitzten Drehbücher dieser Miniserie widersetzt. Selbst wenn sich ihre Katharina einen jungen Mann nach dem anderen ins Bett holt, lässt sich ihre Darstellung der Zarin nicht auf die überlieferten und von Nigel Williams genüsslich aufbereiteten Skandalgeschichten über Katharina reduzieren. Wie Cora 50 Jahre zuvor kämpft auch die russische Herrscherin um ihre persönliche Freiheit. Die Macht kann ebenso ein Gefängnis sein wie die Armut, in der die australische Teenagerin lebt.

Helen Mirren hat im Lauf ihrer Karriere immer wieder Königinnen und Herrscherinnen gespielt und damit einige ihrer größten Erfolge gefeiert. Für ihr Porträt von Elisabeth II. in Stephen Frears' »The Queen« hat sie zu Recht den Oscar als beste Darstellerin erhalten. Ihre zurückgenommene, fast schon stoisch wirkende Darstellung einer Monarchin, die immer zuerst auf die äußere Form bedacht ist, vermeidet alles offensichtlich Gefühlige. Sie buhlt nicht um die ­Sympathien des Kinopublikums, sondern fordert im Gegenteil die Bereitschaft ein, sich auf eine Figur einzulassen, die ihre Gefühle so lange unterdrückt hat, dass man sich nicht sicher sein kann, ob sie überhaupt noch welche hat. Erst der Tod eines kapitalen Hirschs entlockt ihr Reaktionen, die sie sich angesichts des tragischen Endes von Prinzessin Diana versagt hat. Dieser immer noch unterkühlte Ausbruch von Emotionen bringt einem Elisabeth näher. Man erkennt den Menschen hinter der öffentlichen Maske und versteht, was es bedeutet, gezwungen zu sein, eine Machtposition auszufüllen.

Das verbindet Mirrens Elisabeth II. übrigens mit der ranghohen Polizistin Jane Tennison in der von Lynda La Plante ersonnenen Serie »Heißer Verdacht« (1991–2006). Diese Kriminalbeamtin, die sich ständig gegen die sexistischen Widerstände ihrer Kollegen zur Wehr setzen muss, ist vielleicht sogar die eindrucksvollste aller Figuren, die Helen Mirren im Lauf der Jahre gespielt hat. Auch in dieser Rolle macht sie es dem Betrachter nicht einfach. Jane Tennison ist keine Sympathieträgerin im klassischen Sinne, sondern eine überaus komplexe Frau, die immer wieder Fehler macht und von ihrem Umfeld zu falschen Reaktionen verleitet wird. Anders als die Queen hat sie sich ihr Leben selbst ausgesucht. Aber wie wir alle kämpft auch sie ständig mit den Konsequenzen ihrer Entscheidung. Und in diesem Kampf spiegelt sich der Alltag aller Frauen, die in einer männlich dominierten Welt ihren Weg gehen wollen.

Neben Herrscherinnen hat Mirren auch immer wieder Frauen aus der Halb- und Unterwelt verkörpert. In Matthew Chapmans »Hussy« (1980) hat sie eine Prostituierte gespielt, in Taylor Hackfords »Love Ranch« (2010) die Besitzerin eines Bordells. In John Mackenzies »Rififi am Karfreitag« (1980) und in Peter Greenaways »Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber« (1989) war sie die Ehefrau eines Gangsters. Allein diese knappe Beschreibung scheint diese vier Figuren festzulegen. Die Vorstellungen, die sich mit diesen Tätigkeiten oder eben ihrer Stellung als »Gangsterbraut« verbinden, sind wie ein Korsett, das Helen Mirren jedes Mal wieder von neuem abgelegt hat.

Gerade in Greenaways barockem Spektakel, das den Figuren nicht mehr Aufmerksamkeit widmet als dem Dekor, gelingt ihr ein kleines Wunder. Man fühlt mit ihr mit. In einem Film, in dem alles überlebensgroß sein soll und von den grandios größenwahnsinnigen Visionen seines Schöpfers zeugt, bleibt Mirrens Georgina einfach eine Frau, die sich gegen die ausweglose Situation stemmt, in die sie geraten ist.

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