Kritik zu Hitchcock

© 20th Century Fox

Kaum ein Regisseur kultivierte sein Image so wie der »Master of Suspense«. Dieses »Making of Psycho« versucht, Mann und Marke auf die Spur zu kommen – in Form eines schwarzhumorigen Liebesfilms

Bewertung: 4
Leserbewertung
3.5
3.5 (Stimmen: 6)

Nicht mehr als ein Fernsehspiel, mit langweiligen Nebenhandlungen und realistischen Einzelheiten aufgeblasen zu einem zweistündigen Kinofilm«, urteilte das Magazin »Esquire«. Nicht über Sacha Gervasis Hitchcock, sondern über Alfred Hitchocks Psycho, als er 1960 in die Kinos kam. Das Meisterwerk, welches ein ganzes Genre verwandelte und die vielleicht berühmteste Szene der Filmgeschichte besitzt, hatte es bei der Kritik zunächst schwer. Und von Schwierigkeiten war die Produktion von Anfang an gezeichnet. Doch Hitchcock wollte diesen Film unbedingt machen, gegen alle Widerstände: Nach dem gut gelaunten Kassenerfolg Der unsichtbare Dritte diese schmutzige kleine Geschichte in Schwarz-Weiß, dessen »Held« ein psychopathischer Killer im Fummel ist.

Von den Bedenken seines Umfelds und den Finanzierungsnöten über die aus heutiger Sicht bizarren Kämpfe mit der Zensur – etwa wegen der ersten(!) direkten Einstellung auf eine Toilette in einem amerikanischen Film – bis hin zum gewieften Marketing und zum Triumph beim Publikum, das offenbar reif für einen Schock war, erzählen Autor John J. McLaughlin (Black Swan) und Regisseur Sacha Gervasi in Hitchcock die Geschichte dieses Films. Und das tun sie wiederum ziemlich gut gelaunt und in opulenten Bildern.

Getragen wird Hitchcock von einem famosen Ensemble, allen voran die Allzweckwaffe Anthony Hopkins, die hier dank großer Maskenbildnerkunst mit den bekannten Bildern von Hitch verschmilzt, und die wunderbare Helen Mirren als seine Frau Alma Reville. Trefflich besetzt ist der Film bis in die Nebenrollen: Obwohl Scarlett Johansson der echten Janet Leigh kaum ähnlich sieht, schmiegt sie sich perfekt in diese Rolle ein; James D’Arcy verblüfft als Anthony Perkins.

Mit Stephen Rebellos Buch »Alfred Hitchcock and the Making of Psycho« als Vorlage ist der Film eine lustvolle Reise in die Welt des »Master of Suspense«, ein mit schwarzem Humor garniertes Füllhorn an Fakten und Anspielungen. Regisseur Gervasi, der 2008 mit dem Dokumentarfilm Anvil über die gleichnamige Metalband bezauberte, bewegt sich hier auf neuem Terrain. Doch wie in Anvil geht es auch in Hitchcock um die unbeirrbare Leidenschaft von Künstlern für ihre Kunst. Eine Entzauberung, gar eine Demaskierung des Mythos ist Hitchcock freilich nicht. Obwohl er sich bemüht, in das Innenleben des komplizierten Menschen einzutauchen, offenbart der Film wenig von der »dunklen Seite des Genies«. Anders als im fast zeitgleich entstandenen Fernsehfilm »The Girl«, der ihn als ekelhaften Sadisten aus enttäuschter Liebe darstellt, suchen McLaughlin und Gervasi die Balance zwischen Zärtlichkeit und Grausamkeit des Genies. Weil ihr Wohlwollen dabei deutlich überwiegt, sind die finsteren Aspekte eher kraftlos geraten. Eingeflochten sind zwar imaginäre Begegnungen zwischen Hitchcock und dem berüchtigten Frauenmörder Ed Gein – Inspiration sowohl für Robert Blochs Roman wie auch für den Film Psycho. Doch Hitchcocks Getriebenheit wirkt in ihrer filmischen Darstellung unausgegoren. Subtiler sind die vielfältigen visuellen Metamorphosen des Voyeurismusmotivs – es ist ein Film voller »peepholes«, ganz wie die Werke des Porträtierten.

Geistreich und pointiert thematisiert der Film auch die Chemie zwischen Hitchcock und seiner Frau Alma Reville. So ist Hitchcock in gleichem Maße ein Liebesfilm wie ein Künstlerfilm, er erzählt von Almas Eifersucht wegen Hitchcocks Blondinenobsession und von Hitchcocks Eifersucht wegen Almas Zuneigung für den Autor Whitfield Cook. Das Drehbuch bewegt sich dabei am Rande des Spekulativen, bewahrt aber stets das richtige Maß an Zurückhaltung. Und ganz wunderbar ist, wie es Almas Bedeutung für Hitchcocks Schaffen würdigt, die bis heute so gerne vergessen wird. In der Stummfilmzeit selbst als Cutterin erfolgreich, verschwand sie später im Schatten ihres Mannes, steuerte aber zu jedem seiner Filme Rat und Ideen bei – und der Meister hörte auf sie. Abseits von Platitüden wie »Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau« spiegelt der Film, was Charles Chaplin in seinem Nachruf auf Reville schrieb: »Der ›Hitchcock Touch‹ hatte vier Hände, und zwei davon gehörten Alma.«

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