Musikserien: Herzensbrecher & Geldmaschinen

»The Get Down« (2016). © David Lee/Netflix

»The Get Down« (2016). © David Lee/Netflix

Früher waren Musikserien etwas für Teenies. Jetzt werden sie von Regisseuren wie Martin Scorsese und Baz Luhrmann konzipiert. Georg Seeßlen über Popmythen im Fernsehen

Seit damals, als Robert Johnson in Walter Hills Film »Crossroads« dem Teufel begegnete und ihm seine Seele verkaufte, für den einen, den alles erklärenden Blues, hat die Rockmusik ihre Geschichte und ihre Geschichten. Alles stammt von dieser Urgeschichte ab: die Suche nach dem perfekten Song, der Teufelspakt (nur dass die neuen Teufel entweder mit Scheckbüchern oder mit gewissen Substanzen unterwegs sind), die Wegkreuzung, zum Beispiel die zwischen der Kunst und dem Kommerz, dieser gottverdammte Held, der ein Rockstar nur werden kann, weil er zugleich ein Arschloch und ein Heiliger ist, die Frauen, die die »Crossroads«-Geschichte meistens genau spiegelverkehrt erleben, oder auf eine ganz andere Art.

Seien wir ehrlich: Dass Musik vor allem ein knallhartes, tückisches und manchmal schäbiges Business ist, dass Musiker ihre Liebes- und Lebensprobleme haben, dass Fans zwischen Hysterie und Hype, nerdiger Beschlagnahme und ratlosem Selbstdesign auf Erlösung und Gemeinschaft hoffen, das ist nicht neu und auch nicht besonders prickelnd. Aber was dazwischen geschieht, und dann natürlich der Moment, wo das alles verschwunden ist und nur noch die Musik, das unwiederholbare Ereignis da ist – das kann man kaum aufbewahren. Und deshalb war es immer schwer, Musik wirklich in Filme oder Serien umzusetzen. Nicht einmal Konzertmitschnitte oder ambitionierte Musikclips haben das nachhaltig geschafft.

An der Schnittstelle zwischen Fiktion und Musik gab es lange Zeit nur wenige Formeln: Der Rockstar ist eigentlich ein sympathischer und braver Kerl (die Elvis-Filme, die in den sechziger Jahren am Fließband entstanden); zwischen den Bühnenimages und den Menschen dahinter gibt es keinen richtigen Unterschied (die Monkees-Serie mit dem Urbild der gecasteten Band); die Suggestionen der Bühne setzen sich in den Alltag fort (die »Hardrock-Zombies« der siebziger und achtziger Jahre); der magische Ort der Musik lebt (»Phantom of the Paradise«), und die Musik bildet einen Lebens- und Transitraum (»Breaking Glass«). Drei Genres setzten im Kino die Musik in Bilder um: der Konzertfilm, das Biopic und der »Musikfilm« zwischen Rock-Musical und Coming-of-Age mit Musik. Ein Sonderfall ist dann noch das Rock-Mockumentary (»This Is Spinal Tap«); alles in allem eine kleine, aber feine Komfortzone zwischen Musik und Audiovisuals. Und von beiden Seiten gesehen: nicht gerade der heiße Kern der Sache.

Dass es anders ging, dass etwas Neues aus der Begegnung entstehen konnte, zeigte am besten vielleicht Robert Altman mit seinem Multipersonenstück »Nashville« (1975). Hier ist klar, dass Musik keine Zutat ist, sondern Teil des Lebens. Übrigens war Altman mit seiner 24-Kanal-Aufnahmetechnik im Kino sogar der Tontechnik der Musikindustrie voraus. Dialog und Musik ergeben einen eigenen neuen Klangkörper. Es dauerte ziemlich lange, bis man diese Lektion wieder aufnahm. In den achtziger Jahren fiel den TV-Produzenten jedenfalls nicht viel mehr ein als »New Monkees« in den USA oder »Let's Rock« in England, entstanden aus einer Bühnenshow, bei der der Cast nur noch für Pophistoriker von Interesse ist: Alvin Stardust, Lulu, Shakin' Stevens, Fumble, Johnny Storm...

TRACK II

Im Zeitalter der Casting- und Rating-Shows träumt man nicht mehr so sehr von Popstars, man träumt davon, selbst einer zu werden. Die erfolgreichsten Formate der Musikserien bedienen diesen Traum, manche schamlos oder wenigstens naiv, andere mit einem Quantum Kritik. Und wieder andere träumen vom Pop als Integrationsmaschine. Ein Modell lieferte 2003 Richard Linklaters Film »School of Rock«, der von einem Aushilfslehrer (Jack Black) erzählt, der seine Schüler mit der elektrischen Gitarre gewinnt: Der Club der geheimen Rockstars. Daraus entstand im Jahr 2016 eine TV-Serie, die gerade eine zweite Staffel generiert hat.

»School of Rock« (2003). © Universal

Die Monkees-Linie setzt, mit gewissen Geschmacksverschärfungen, die Serie »The Naked Bro­thers Band« fort, ein Mockumentary über eine Kinderrockband, die es dann aber doch auch wirklich gibt. Neben Filmen und der TV-Serie kam 2008 auch eines der populären Rock-'n'-Roll-Videogames unter dem Titel »The Naked Brothers Band« heraus. Zu perfekten Merchandise-Maschinen entwickelten sich dann Disneys »Hannah Montana«-Serie mit Miley Cyrus und das »High School Musical«. 2006 wurde der erste TV-Film in den USA ausgestrahlt, danach folgten regelmäßig Sequels; mittlerweile ist man bei Teil IV angelangt. Eine Bühnenshow ging auf Tournee, Konzertmitschnitte wurden auf DVD veröffentlicht, CD-Serien erschienen. Erzählt werden die üblichen Teenager-Liebesgeschichten, die, ganz in der Tradition des amerikanischen Musicals, nicht in körperlichen Berührungen, sondern in Gesangs- und Tanz-Performances aufgelöst werden. Nicht einmal geküsst wird in »High School Musical«.

Das kann man von »Victorious« nicht behaupten: In der Form der Teen-Sitcom wird von Arbeit und Alltag von sieben Schülern einer Schauspielschule (»Hollywood Arts«) in Los Angeles erzählt, und hier gibt es zwischen Traumbild und Wunscherfüllung auch schon mal den einen oder anderen Hinweis auf die Härten und die Gemeinheiten, die einen auf dem Weg zum Ruhm erwarten.

Das erfolgreichste Format dieser fiktiven Serien zur Herstellung von Popstars wurde »Glee«, die Geschichte eines »Musical-Clubs«, die in einer Mischung aus Soap Opera, Musik und Satire die Formel der reinen Affirmation verlässt. Man beginnt hier schon relativ früh, Heuchelei und Trickserie des Showbusiness zu durchschauen, sich mit den Recyclingprozessen in der Popmusik vertraut zu machen und hinter Masken und Rollen zu sehen. Zugleich aber bleiben die Begeisterung und die Hoffnung erhalten; es wird schließlich auch klar: Es gibt nicht viel anderes. »Glee« lehrt, die Welt mit kritischem Sarkasmus zu sehen und die Musik nicht mehr allein als Schmiermittel der Anpassung.

TRACK III

Von »Glee« führen die Wege zu den »erwachsenen« Musikserien der neuesten Zeit, für die es im Fernsehen kaum Vorbilder gibt. Auch hier scheint zunächst die Mischung klar: Elemente von Soap Opera und Melodram, der Kritik und der Satire, der Doppeldeutigkeiten und Monströsitäten werden mit einer Musikszene oder -epoche verbunden.

So führt »Nashville« in »das Mekka« der Country-Musik und fächert von einer in der Pilotfolge entwickelten All About Eve-Geschichte um eine nicht mehr ganz junge Country-Queen und ihre jugendliche Herausforderin Beziehungen und Typen nicht nur in der Musikbranche selbst auf. Skrupellose Tycoons, dunkle Familiengeheimnisse, eine drogenkranke Mutter des Stars, verpasste Gelegenheiten und enttäuschte Hoffnungen: Die großen amerikanischen Themen und Mythen werden neu miteinander gemischt und immer wieder direkt in Musik umgesetzt, oder es wird umgekehrt die Musik in sexuelle wie in politische Realitäten hinein dekonstruiert.

»Nashville« Staffel 1 (2012). © ABC Studios

»The Get Down«  –  von Baz Luhrmann, der für seine lustvolle Unmäßigkeit bekannt ist, als Showrunner – führt in die Hip-Hop-Szene im New York des Jahres 1977. Es ist die Geschichte zweier Freunde, die in der ziemlich schattigen Seite der Stadt aufwachsen und die Musik für sich als Rettung, aber auch als gefährliche Falle erleben. Wie den Aufstieg verkraften? Wie Freundschaft und Loyalität erhalten? Für Luhrmann geht es vor allem darum, nicht Musik und Kulisse zu zeigen, sondern eine Einheit von Ort, Bewegung und Musik zu erzeugen. Das kostet Geld: Um die zehn Millionen Dollar pro Folge für die Netflix-Serie ist auch in der »Game of Thrones«-Ära eine stolze Summe. Das mag einerseits darauf hinweisen, wie sehr die Streamingdienste auf die Eigenproduktionen setzen, und vor allem darauf, welche Hoffnungen man in das neue Genre der aufwendigen Musikserie setzt. Es scheint das Zeitbild schlechthin zu sein.

Das gilt in besonderem Maß für die von Martin Scorsese und Mick Jagger produzierte Serie »Vinyl«. Scorsese inszenierte selbst die Pilotfolge und gab den Ton vor. Erzählt wird die Geschichte eines derangierten, verkoksten und größenwahnsinnigen Label-Machers in den Jahren der Herausforderung klassischer Rock- und Soul-Acts durch Punk und New Wave: Sex & Drugs & Rock 'n' Roll mit einer gehörigen Beimischung von Gewalt, dazu mehr oder weniger direkte Abbildungen von Bands wie den Ramones, Velvet Underground, New York Dolls. Die Mischung aus Musik, »Mad Men«, Scorsese-Machogangstermysterien und drastischer Demaskierung der Pop­mythen begeisterte die Kritik – und scheiterte dann doch. Der äußere Grund dafür waren, wie man so sagt, »künstlerische Differenzen« zwischen den Showrunnern um Terence Winters und der Produktion von HBO. Aber vielleicht gingen Jagger, Scorsese und Winters einfach auch ein bisschen zu weit mit ihrer Dekonstruktion von Geschäft und Szene. Die Musik in »Vinyl« scheint nur noch Ausdruck der inneren Getriebenheit, zwischen Korruption und Gewalt wie aus einem Höllenkessel entlassen.

»Vinyl« (2016). © HBO

Die Serie »Roadies« (2016) von Cameron Crowe zeigt eine andere Arbeit hinter den Kulissen, nicht nur, wie man vermuten könnte, von den Bühnenbauarbeitern und Gitarrenstimmern, sondern vor allem vom Tourmanager (Luke Wilson) und der Produktionsleiterin (Carla Gugino): ein harter Alltag mit den (nicht immer) üblichen persönlichen und emotionalen Verwicklungen. Da geht es um den unfreundlichen Versuch der Übernahme von Managements und Bands, um hoffnungslos vergeigte Konzerte, aber auch schon einmal um einen mysteriösen Fluch: Es ist in diesen Serien das Prinzip etlicher neuer Produktionen vorherrschend, die Handlung so zu führen, dass nicht unbedingt das eintritt, was erwartet werden kann. Man ändert im Verlauf der Entwicklung zwischen den Protagonisten die Perspektiven und den Ton.

Dass das Musikbusiness so zur Weltmetapher der neueren Serienproduktion werden konnte, hängt vielleicht mit dieser Fähigkeit zur Ambivalenz zusammen. Hier kann, moralisch gesehen, das Furchtbarste geschehen, aber auch das Wunder, und keiner muss hier genau das sein, was er scheint. Zugleich aber sind die Protagonisten auch in ihrer Welt, in ihren Ambitionen, in ihren Abhängigkeiten gefangen. Serien wie »Vinyl« zerfetzen gewissermaßen nicht nur den Mythos des Pop, sondern auch seine melodramatische Grundierung.

»Roadies« (2016). © Showtime

Da wirkt eine Show wie »Empire« fast schon wieder konventionell: Es geht um eine Familie, die in der Hip-Hop-Szene ein Unternehmen gründet und dabei, wie es amerikanische Unternehmerfamilien im Fernsehen zu tun pflegen, immer wieder an den Rand ihrer Belastbarkeit gerät. Das Musikimperium jedenfalls wird hier, ganz im Gegensatz zu »Vinyl«, als Metapher konsistenter, kapitalistischer Produktion rekonstruiert. Und auch die melodramatische Konsistenz einer Person wird rekonstruiert, zum Beispiel in Sex & Drugs & Rock & Roll von und mit Denis Leary als Sänger der fiktiven Band »The Heathens«, die in den frühen 90ern in New York (die New-Yorkish­ness des Genres ist übrigens, von »Nashville« abgesehen, scheinbar unabdingbar) in der Szene scheinbar unaufhaltbar aufsteigt. Nur der bekannte Hang des Helden Johnny zur Selbstzerstörung durch Drogen und durch eine Affäre ausgerechnet mit der Frau des Gitarristen droht alles zu ruinieren: Die Band löst sich auf. 25 Jahre später: Johnny ist alt und erfolglos geworden; seine ganze Hoffnung setzt er auf seine talentierte Tochter. Dann versucht er, seine alte Band wieder zusammenzubringen. Aber die alten Konflikte sind genauso schnell zurück, wie sich neuer Erfolg abzeichnet. Eine interessante Geschichte, gewiss, aber eben doch eine Geschichte.

»Mozart in the Jungle« (2014). © Amazon

»Vinyl« funktioniert da anders. Da sehen wir, wie Geschichten abgebrochen und völlig anders neu begonnen werden, und Menschen, die nie vollständig bei sich sind. Ähnliches lässt sich über die Serie sagen, die nicht die Popbranche, sondern die klassische Musik als Material gewählt hat: »Mozart in the Jungle«, eine Amazon-Produktion. Auch diese Serie beginnt mit einem Machtwechsel, einer Generationenfolge: Der alte Dirigent (Malcolm McDowell) tritt ab, nicht freiwillig, versteht sich, und ein neuer Star, der junge, arrogante Rodrigo de Souza (Gael García Bernal) betritt die Szene. Auf der anderen Seite geht es um die Ambitionen einer Oboistin und um ein grandioses Ensemble halbverrückter, rücksichtsloser oder verzweifelter Menschen auf und hinter der Bühne eines Symphonieorchesters, das nicht zuletzt ein ökonomisches Unternehmen ist. Aber nicht dass auch in der klassischen Musik Star-Power, Intrigen, Machtspiel und Korruption vorherrschen, ist die entscheidende Komponente dieser Dekonstruktion. Vielmehr verändert auch hier sich radikal die Perspektive, verwandelt sich das Drama in die Groteske, erweisen sich Figuren als ganz anders, als sie zuerst erschienen. Und schließlich scheint die Serie förmlich in den Kopf des Protagonisten und seiner Verirrungen zu kriechen, Zwiesprachen mit Wolfgang Amadeus Mozart inklusive.

TRACK IV

»Vinyl«, »Nashville« und »Mozart in the Jungle« sind Neuerfindungen der Musikerzählungen; es sind, wenn man so will, die Opern der neuen TV-Serien. Sie haben es so direkt wie diese auf Emotionalität und Erhabenheit, aber auch auf eine Ketzerei abgesehen, die keine andere Kunstform aufweist, und sie sind die Rückkehr zur Ur-Legende des Rock 'n' Roll, der Begegnung der Musik mit den transzendentalen Mächten von Gut und Böse. In »Vinyl« und »Mozart in the Jungle« kippt die Handlung immer wieder von Augenblicken größter Erniedrigung in halluzinatorische Entrückung. Aus der Spannung zwischen den tiefsten Tiefen und den höchsten Höhen entsteht ein Zustand, der sich in einer linearen Erzählung und auch in einem eindeutigen »kritischen« Statement nicht fassen lässt. Es ist eben Himmel und Hölle zugleich.

»Vinyl« (2016). © HBO

Beim Publikum von »American Idol« oder »Deutschland sucht den Superstar« kommen diese Serien vielleicht nicht so gut an. Das markiert womöglich bereits die Grenze dieser neuen Musikerzählungen. Gegen dieses neue Erzählen der Musik werden auch schon wieder Gegenbilder entwickelt; Serien wie »Star« oder »Youngers«, die nach dem eher optimistischen Prinzip der erfüllten Versprechungen funktionieren, sind weniger spektakulär, haben aber leichteres Spiel. Der Erfolg der nächsten größeren Serie, »Atlanta«, die in die Rapszene und in Biografien der black community führt, mag mit darüber entscheiden, ob sich das Genre noch weiterentwickeln können wird.

»Herzensbrecherin«, sagt einer im Studio bei den Aufnahmen der jungen Crossover-Sängerin in »Nashville« begeistert. »Geldmaschine«, fügt ein anderer sarkastisch hinzu. Es stimmt beides, natürlich. Aber dazwischen passiert wirklich eine ganze Menge.

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