Emma Thompson – Ein Porträt

Geliebte Nervensäge
Emma Thompson in »Late Night« (2019). © Entertainment One

Emma Thompson in »Late Night« (2019). © Entertainment One

Emma Thompsons scharfe Zunge ist ­berühmt. Zum Star wurde die englische Schauspielerin aber mit gefühlvollen ­Rollen in wohltemperierten Kostümdramen. Ihr aktueller Film »Late Night« ist eine ­Hommage an ihre erste Liebe: die Comedy

»Emma Thompson: ein Nationalheiligtum oder Großbritanniens größte Nervensäge?«, fragte 2010 provozierend eine britische Zeitung. Das war, nachdem Thompson wieder einmal öffentlich hergezogen war über Kolleginnen wie Audrey Hepburn (»ein niedliches Ding, das wirklich nicht schauspielern konnte«) und über vermeintlich provinzielle Unorte wie die Isle of Wight (»Dort steinigen sie Homosexuelle«), nachdem sie von Greenpeace-Expeditionen in der Arktis bis zu Aids-Wohltätigkeitsreisen nach Afrika, vom Thema Palästina über die Klima- bis zur Flüchtlingskrise und dann noch im Kampf gegen die dritte Landebahn von Heathrow so permanent auf öffentlichen Bühnen flammende Reden gehalten hatte, dass sie den Schauspielerberuf gegen den einer Jetset-Politaktivistin ausgetauscht zu haben schien. Und doch war 2010 auch das Jahr, in dem ihr, als Künstlerin, einmal mehr ein Doppelschlag gelang. Im megaerfolgreichen Kinderfilm »Eine zauberhafte Nanny – Knall auf Fall in ein neues Abenteuer« spielte sie zum zweiten Mal das Kindermädchen Nanny McPhee, das – optisch eine Schreckschraube, beim Zaubern aber mindestens so gut drauf wie Mary Poppins – einen Haufen Kinder zur Räson bringt. Auch das Drehbuch, so abgründig wie von Roald Dahl, schrieb sich Thompson mitsamt haarigen Warzen und schiefen Zähnen zum zweiten Mal auf den Leib.

Emma Thompson, die in diesem Jahr ihren 60. Geburtstag feierte, wurde zum Aushängeschild des britischen Films, gerade weil sie eine Nervensäge ist. Als Schauspielerin die Worte von anderen aufzusagen, war nie ihr vorrangiges Ziel. Sie war seit Beginn ihrer Karriere davon getrieben, mitzureden und zu -gestalten, mit galligem Witz und Sarkasmus ihren Senf dazuzugeben. Mit anderen Worten: Sie ist eine geborene Komikerin, gehört also einer Spezies an, die man bis vor wenigen Jahren nicht mit ihr assoziiert hätte. Doch ihr Werdegang zeigt eben auch, wie schwierig es selbst für eine so furchtlose, aus altem Schauspieleradel stammende Begabung wie Thompson war, sich als Frau über jenes System lustig zu machen, das heute allgemein mit der modischen Invektive »patriarchalisch« geschmäht wird. Schon während ihres Literaturstudiums in Cambridge wurde »Emma Talented«, so ihr Spitzname, als erstes weibliches Mitglied für die Impro-Comedytruppe »Footlights«, die auch die »Monty ­Pythons« hervorgebracht hatte, angeworben. Zu ihren Kollegen zählten Stephen Fry und Hugh Laurie, und mit Comedyshows im Fernsehen wurde das Trio schnell bekannt. Ihre eigene Sitcom indes, »Thompson« (1988), wurde nach sechs Folgen abgesetzt und als »männerfeindlich« so böse verrissen, dass sie laut eigener Aussage darauf verzichtete, den Weg als Komikerin weiterzuverfolgen.

Doch ab da ging es erst recht aufwärts. Ironischerweise stieg das Schandmaul Emma Thompson mit extrem wohlerzogenen Kostümrollen, in denen sie stets eine in allen Lebenslagen taktvolle Dame verkörperte, zum internationalen Star auf. In den neunziger Jahren war sie im Kino omnipräsent – auch dank der Ehe mit Film- und Theaterzampano Kenneth Branagh, als dessen Muse und Maskottchen sie lange Zeit galt. Das Traumpaar »Ken'n Em« drehte zusammen elf Filme und gab den Anstoß für den bis heute anhaltenden Höhenflug des britischen Qualitätsfilms – und vielleicht sogar für den stetigen Strom britischer Schauspieler nach Hollywood, jene lässigen »rich kids«, die ihren sich abstrampelnden amerikanischen Kollegen die besten Rollen wegschnappen.

Doch der Boom britischer Filme ab Mitte der achtziger Jahre und in den neunziger Jahren ist ein Phänomen, dessen Besonderheit gar nicht überschätzt werden kann. Denn es handelte sich fast vollständig um Verfilmungen britischer Hochkulturklassiker. Klar, ­Shakespeare – Branaghs Hausgott – geht irgendwie immer. Aber die prüden Liebesromane von Jane Austen, die backsteindick ausgewalzten Upper-Class-Gesellschaftsromane von E. M. Forster? Der Esprit und das Temperament von Branaghs Shakespeare-Versionen ließen damals das Publikum ebenso Schlange stehen vor der Kinokasse wie die stilsicher ausgestatteten, geistreichen Romanverfilmungen des amerikanischen Regie- und Produzentenduos James Ivory/Ismail Merchant. Inmitten der erlesenen Allstar-Ensembles war Emma Thompson meist ganz vorn dabei.

Die Ex-Punkerin bezauberte aber weniger mit ihren akkurat gelegten Locken und engen Korsetts als durch ihre wohlgesetzte Rede und ihre coole Haltung. Emma Thompson nimmt in Kostümrollen wie in Branaghs »Viel Lärm um nichts« (1993) als Beatrice und in Ivorys »Wiedersehen in Howards End« (1992) als Margaret Schlegel einerseits den Typus jener gouvernantenhaften, zugeknöpften englischen Lady auf, wie ihn etwa auch Maggie Smith verkörpert. Doch da ist noch mehr; Thompson macht hinter der gefassten, wohltemperierten Attitüde etwas Widerständiges spürbar, das die Atmosphäre zum Prickeln bringt. Sie ist vielleicht eine Jasagerin, doch ihr vorgerecktes Kinn ist zugleich eine Kampfansage, eine an ihre potenziellen Liebespartner gerichtete Herausforderung, die ihr sanftes Gebaren Lügen straft. Man beachte, wie sie etwa als Hauswirtschafterin Miss Kenton im Drama »Was vom Tage übrig blieb« (1993), James Ivorys Verfilmung eines Romans von Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro, den würdigen Butler Stevens buchstäblich in die Zimmerecke treibt: wie sie versucht, ihn zu zwingen, ihr seine Liebe zu gestehen – was jedoch nicht gelingt und das ganz große Drama dieser Geschichte darstellt.

Man könnte auch sagen, dass ihre Auftritte in diesen Kostümfilmen deshalb so herausragen, weil Emma Thompson, deren Schönheit von ihrer Herbheit dominiert wird, gegen den Strich besetzt ist. Schon in ihrem ersten Kinofilm, der Komödie »The Tall Guy« (1989), bildete sich ein Muster, das sich in ihren späteren Filmen teilweise wiederholte. Da verliebt sich ein Schauspieler (Jeff Goldblum) in eine Krankenschwester, die alles andere als eine Sexbombe, geschweige denn in irgendeiner Weise flirtlustig ist. Stattdessen erobert sie sein Herz durch ihre schnippische, direkte Art. Als er sie zum Essen einladen will, sagt sie: »Ich bin sicher, Sie wissen das: Bloß weil man ein Mädchen zum Essen ausführt, bedeutet das nicht, dass man mit ihr ins Bett muss«, um fortzufahren: »Ich bin kein Mädchen, das an so was glaubt... Es ist sinnlos, Geld für Essen auszugeben, wenn ich bereits weiß, dass ich dich gernhabe. Also, ich habe morgen den ganzen Tag frei; warum kommst du nicht einfach vorbei?« Mit solch einer offensiven Ansage muss ein Mann erst mal klarkommen.

Bereits in diesem Film wird sie schließlich betrogen, worauf sie ihn kommentarlos, Knall auf Fall verlässt. Die Rolle der betrogenen oder verschmähten Frau, die ihr Leid mit ergreifender Würde trägt und sich nicht öffentlich gehen lassen will, hat Emma Thompson fortan in etlichen Filmen, zuletzt im Drama »Kindeswohl« (2017), variiert. Der Gipfel dieses Zähnezusammenbeißens war das Politdrama »Mit aller Macht« (1998), in dem sie, als eine nach dem Vorbild Hillary Clinton geformte Ehefrau eines Präsidentschaftskandidaten, im Wahlkampf permanent mit der Untreue ihres Mannes konfrontiert wird. Unweigerlich läuft die Handlung in diesen Filmen auf jenen ­kataklysmischen Moment zu, in dem sie im stillen Kämmerlein dann doch die Fassung verliert. So auch in der Erfolgskomödie »Tatsächlich... Liebe« (2003): Da entdeckt sie als gestandene Upperclass-Familienmutter ausgerechnet unterm Weihnachtsbaum die Untreue ihres Mannes und geht kurz mal ins Schlafzimmer, um dort heimlich zu weinen, knappe 30 Sekunden. Es ist eine der wenigen Szenen dieser süßlichen Episodenkomödie, die sich in der Erinnerung festsetzen. Thompson selbst machte sich, natürlich, lustig über ihre wiederholten filmischen Tränen: »Es ist irgendwie zum Witz geworden, oder? Die Leute sagen mir immer: ›Niemand weint so gut wie Emma Thompson!‹«

In einer bösen Pointe des Schicksals wurde sie auch im realen Leben von Branagh wegen einer anderen Frau verlassen: ausgerechnet wegen Männerschwarm Helena Bonham Carter. Der Star von James Ivorys E.M. Forster-Verfilmung »Zimmer mit Aussicht« stellte in »Wiedersehen in Howards End« das weibliche Gegenstück zu Margaret Schlegel dar: hier stiff upper lip, Verstand und skeptische Distanz, dort ganz Gefühl, Hasch-mich-ich-bin-der-Frühling, Stupsnase und Kindchenschema. Und Branagh – war er nicht derjenige, der seiner Ehefrau in der ansonsten liebens-würdigen Tragikomödie »Peter's Friends« (1992) ihre bis jetzt blödeste, unlustigste Rolle verpasste? Der Film, der die einstigen Mitglieder der »Footlight«-Comedytruppe versammelt, handelt vom Treffen einer Freundesclique in einem Landsitz. In der Rolle einer tolpatschig-verhuschten Singlefrau will Emma Thompson ihren alten schwulen Freund (Stephen Fry) zu dessen großer Verlegenheit verführen, hält sich dann aber, nachdem sie von einer Bekannten aufgebrezelt wurde, an den siebzehnjährigen Sohn der Haushälterin (gespielt von Emma Thompsons Mutter Phyllida Law). Allerdings nimmt Branaghs Komödie die Konstellation der wunderschönen Künstlerbiografie »Carrington« (1995) von Christopher Hampton vorweg, in der Thompson als Malerin Dora Carrington, der Bloomsbury-Künstlergruppe zugerechnet, sich in eine tragische Beziehung mit dem homosexuellen Schriftsteller Lytton Strachey verstrickt. Eine weitere unerfüllte Liebe, ein weiterer Part, in dem Thompson mit großer Zurückhaltung eine herzzerreißende Frauenfigur verkörpert.

Glück im Unglück: Ihre Depression nach der Trennung von Branagh überwand sie durch das Schreiben eines Drehbuchs. Den Auftrag erhielt sie, nachdem die Produzentin die Sketche ihrer TV-Show »Thompson« gesehen hatte. Die von Regisseur Ang Lee gedrehte Jane-Austen-Verfilmung »Sinn und Sinnlichkeit« war ein durchschlagender Erfolg. Thompson bekam, nach dem Darsteller-Oscar 1992 für »Wiedersehen in Howards End«, 1995 den Oscar für die beste Drehbuchadaption. Sie ist damit die bislang einzige Person, die in beiden Kategorien ausgezeichnet wurde. Thompson, die für sich selbst wie gehabt die Rolle der etwas altjüngferlichen, vernünftigen Elinor Dashwood reservierte, heiratete Jahre später Greg Wise, der in dem Film »Willoughby«, den feigen Verehrer der jüngeren, gefühlsbetonten Dashwood-Tochter Marianne (Kate Winslet), spielte.

Hätte Emma Thompson nach diesem grandiosen Erfolg ihren Lebensmittelpunkt nach Los Angeles verlegt, dann hätte sie wohl Meryl Streep einige Rollen stibitzt. Statt aber mit einem weiteren Big-Budget-Kostümfilm ihren Status zu untermauern, drehte sie mit »Wit« ein sperriges Fernsehkammerspiel, für das sie gemeinsam mit Regisseur Mike Nichols das Drehbuch verfasste und das wie ihr künstlerisches Credo anmutet. »Wit«, ein mit Witz, Ironie oder geistiger Beweglichkeit nur unvollkommen übersetzbarer Begriff, beschreibt die Haltung, mit der eine Literaturprofessorin der ­Hiobsbotschaft ihrer Krebserkrankung begegnet. Ihr Kampf um selbstironische Distanz, verbunden mit der Liebe zur Sprache und zur Poesie, erscheint als fast metaphysisch aufgeladener Widerstand gegen die immer entsetzlicheren Zumutungen ihres Dahinsiechens und Ausgeliefertseins an ein entmenschlichendes Krankenhaussystem. Humor zur Bewahrung der menschlichen Würde: »Wit«, in Deutschland leider nicht ins Kino gelangt, aber auf der Berlinale gelaufen, erscheint als Zäsur in Emma Thompsons Karriere.

Von da an verzichtete sie, dem Rat ihrer Mutter folgend, darauf, »eine weitere gute Frau in einem Kleid« zu spielen. In den 2000er Jahren scheint sie ihre Liebe zur Clownerei, zur Exzentrik und auch zur reuelosen Biestigkeit wiederentdeckt zu haben. Im fantastisch verkopften Filmmärchen »Stranger Than Fiction« (Marc Forster, 2006) ist sie als neurotische, nikotinsüchtige Schriftstellerin, die göttinnengleich über Leben und Tod ihrer Romanfigur, eines frisch verliebten Steuerbeamten, bestimmen muss, ein bis dato unerreicht origineller Filmcharakter. Auch als Wahrsagelehrerin Sybil Trelawney in den »Harry Potter«-Filmen gibt sie dem Affen Zucker. So wechseln ihre Darstellungen von Respektspersonen, etwa in den »Men in Black«-Filmen als Geheimdienstchefin und als Richterin in »Kindeswohl«, mit kleinen überkandidelten Auftritten. Ein weiteres Glanzlicht war in »Saving Mr. Banks« (2014) ihr Porträt von P. L. Travers, der Mary-Poppins-Erfinderin. Sie gibt sie als strenge Frau, deren zickige Britishness sich als selbst gebastelte Rüstung gegen die Traumata ihrer Kindheit entpuppt. Travers' sturer Widerstand gegen die Überwältigungs­strategien des jovialen Filmmoguls Walt Disney (Tom Hanks), der ihre Geschichten verfilmen will, ist »typisch« Thompson.

Allerdings haben ihre komischen Auftritte mittlerweile auch ­etwas Enervierendes. Wenn sie, angespannt wie ein Bogenschütze, vor der nächsten Verbalattacke ihre Mundwinkel nach unten zieht und die untere Zahnreihe fletscht, strahlt sie manchmal ein Maß an Aggression aus, dass mehr befremdlich als spaßig ist. Versnobt, privilegiert, von oben herab: ihre Kurzauftritte als britische Premierministerin und Theresa-May-Karikatur in »Mr. Bean 3« sind lustig. Sieht man Thompson in Interviews, zu denen sie, zugestandenermaßen, eingeladen wird wegen ihrer Fähigkeit, auf den Putz zu hauen, scheint sie von dieser dünkelhaften Witzfigur aber in der Realität gar nicht so weit entfernt. Ihre berühmte Selbstironie wirkt leicht wie eine rhetorische Masche, eine Lizenz, um auch auf andere verbal einzuschlagen. Thompson, die sich bei jeder Gelegenheit als links und feministisch bezeichnet, rät etwa älteren Schauspielerinnen, nicht über den Mangel an Rollen zu jammern. Sie sollten »einfach zum Stift zu greifen und sich ihre Rollen selbst schreiben«, sagt die Frau, die von Kindheit an bestens mit der Branche vernetzt ist und zwei Oscars und Millionengagen auf dem Konto hat, in schulmeisterlicher Herablassung. In ihrer neuen Komödie »Late Night«, in der sie eine berühmte britische Fernsehkomikerin in den USA spielt, darf ihr Konterpart Mindy Kaling den billigen, aus der Höhe ihres privilegierten Status verabreichten Zynismus ihrer Chefin kritisieren. Als Erstes solle sie den »vernichtenden Blick« lassen, sagt Kaling, worauf Thompson erwidert, dass sie nun mal nicht anders könne. Und wie sich Thompson hier zur Karikatur ihrer selbst macht, das verdient dann doch wieder Respekt.

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