Dangerous Method

Dunkle Begierde und Psychoanalyse im Film

Die Psychoanalyse ist in der Filmtheorie ziemlich aus der Mode gekommen. Aber zum Verhältnis von Kino und Psychoanalyse ist immer noch nicht alles gesagt. Die Filmwissenschaftlerin Veronika Rall nimmt David Cronenbergs Freud-Film Eine Dunkle Begierde zum Anlass, für eine neue Sicht auf die beiden modernen Kulturphänomene zu plädieren – und die Analyse durch das Medium Film zu betrachten

Das amerikanische National Institute of Mental Health, so berichtet der amerikanische Psychiater Irving Schneider, entschied in den 1970er Jahren, eine Psychoanalyse vollständig zu verfilmen. Die 50-minütigen Sitzungen wurden über mehrere Jahre aufgezeichnet, die Kamera stand dabei statisch hinter einem Spiegel, und man hatte nicht vergessen, extra lange Filmrollen zu entwickeln. Man begann euphorisch, schnell aber waren der Psychoanalytiker desillusioniert, der Analysand gestresst, und beide wollten das Projekt beenden. Gleichwohl quälte man sich im Dienst der Wissenschaft weiter. Aber es kam noch schlimmer: Als die Analyse beendet war, wollte sich niemand die unzähligen Stunden an Material anschauen.

Die Psychoanalyse – so könnte man schließen – lässt sich nicht abfilmen, sie gibt keinen brisanten oder unterhaltenden Filmstoff ab, zu eintönig sind die Bilder, zu handlungsarm die Geschichte und zu sprachlastig das Geschehen. Schon Sigmund Freud betonte 1925 angesichts eines deutschen Filmprojekts, für das im Vorfeld seine Genehmigung eingeholt werden sollte, die neue Praxis und ihre Theorie seien schlicht nicht darstellbar: »Mein Haupteinwand bleibt«, so schrieb er im Juni 1925 an Karl Abraham, den Leiter des Berliner Psychoanalytischen Instituts, »dass ich es nicht für möglich halte, unsere Abstraktionen in irgendwie respektabler Weise plastisch darzustellen.« Ob Freud den Film, der ein Jahr später unter dem Namen Geheimnisse einer Seele (G. W. Pabst, D 1926) in die Kinos kam, je gesehen hat oder ob er sich veranlasst sah, sein Urteil zu widerrufen, ist nicht belegt. Trotzdem kennt allein die Internet Movie Database 61 Film- und Fernsehtitel, in denen »Sigmund Freud« als Figur geführt wird, und diese Quantität kann man nicht als späte Rache am Gründer der Psychoanalyse verstehen. Gespielt wurde er oft von Prominenten: Montgomery Clift versuchte sich in Freud (John Huston, USA 1962), Helmut Käutner in Verbotenes Land (Ettore Cella/Ida Ehre, D 1967), Curd Jürgens gleich zweimal – in Le fil rouge (Robert Crible, F 1968) und Berggasse 19 (Ernst Haeusserman, AU 1979) –, Max von Sydow in The Young Indiana Jones Chronicles (Bille August/Carl Schulz, USA 1993), Heinz Bennent in Princesse Marie (F 2004).

Nun reiht sich Viggo Mortensen mit A Dangerous Method (Eine dunkle Begierde, David Cronenberg, CAN/CH/UK/D 2011) in diesen illustren Zirkel und verleiht, das muss man zugestehen, der Figur Freuds einen Hauch ironischer Distanz. Zudem fühlt sich der Schauspieler in seiner Rolle sichtlich wohl, die Zigarre passt, das Beharren auf seiner Sicht der Dinge auch, die Seitenhiebe auf Jung sind besser geführt als manches Gefecht, das Mortensen als Aragorn im Herrn der Ringe austragen musste. Gleichwohl hinterlässt Cronenbergs Film den faden Nachgeschmack eines Historiendramas, wenn er von der Therapie erzählt, die Carl Gustav Jung (Michael Fassbender) zwischen 1905 und 1909 in Zürich seiner Patientin Sabina Spielrein (Keira Knightley) angedeihen ließ. Dass der psychoanalytisch interessierte Psychiater dabei seine Standesschranken übertrat und eine heftige Affäre mit der jungen Frau anfing, ist historisch gesichert, ebenso seine Besuche bei Freud in Wien. Beide tauschten sich sogar über ihre Gefühle in der Analyse aus, exkulpieren sich dabei aber eher selbst, als die Not von Spielrein zu erkennen.

Was A Dangerous Method davon zeigt, sind »wahnsinnige« Patienten, rauchende Psychoanalytiker und die eine oder andere sado-masochistische Szene; dazu sind auf der Tonspur neben dramatisierender Musik ziemlich viele Dialoge zu hören, deren Inhalt sich jedem, der nicht mit der Psychoanalyse vertraut ist, verschließen muss. Die Kamera heftet sich zumeist an die Gesichter der Protagonisten und produziert Nahansichten, die zumindest Knightley als Hysterikerin kaum bewältigen kann: »Sie fletscht derart ihre Zähne und lässt ihr Kinn vorspringen, dass der Film in 3D hätte produziert werden sollen«, schrieb der »Guardian« spöttisch.

Woran scheitert Cronenberg? Ist es tatsächlich unmöglich, die Psychoanalyse zu verfilmen? Gibt es nicht eine ganze Reihe von faszinierenden oder zumindest unterhaltsamen Psychoanalysefilmen – Komödien wie Analyze This (Harold Ramis, USA 1999), Thriller wie Ich kämpfe um dich (Alfred Hitchcock, USA 1945), Melodramen wie Now, Voyager (Irving Rapper, USA 1942), Films Noirs wie Nightmare Alley (Edmund Goulding, USA 1947), Neo-Noirs wie Still of the Night (Robert Benton, USA 1982) oder Autorenfilme wie Annie Hall (Woody Allen, USA 1977)?

Das Kino interessiert sich für die Psychoanalyse, und es hat, so schreibt der Historiker Georg Schmid, »ganz wesentlich dazu beigetragen, dass in deutschsprachigen Ländern über Psychoanalyse überhaupt etwas wissbar ist«. Insbesondere in den USA bevölkerten Psychoanalytiker und Psychiater mit der Durchsetzung des Tonfilms die Leinwände. Anders als in Mitteleuropa, wo die Kulturtechnik der Psychoanalyse in den 1930er Jahren flächendeckend ausgelöscht wurde, integrierte und sedimentierte sie sich hier in der Popkultur. Viele Kreative – darunter Filmmogul David O. Selznick, Regisseur Joseph Mankiewicz, Drehbuchautor Ben Hecht oder Filmkomponist George Gershwin – lagen selbst auf der Couch. Und anders war auch der respektlose Ton, den die Filmleute mit ihren Analytikern pflegten: Mankiewicz etwa sprach von Ernst Simmel als seinem »Obermacher« (auf Deutsch) und »Hausmeister«, eine Vorwegnahme des »shrink« (wörtlich: Kopfschrumpfer), wie heute viele Amerikaner ihren Therapeuten liebevoll und ironisch zugleich nennen.

Das Kino liebt die Psychoanalyse – das hat vermutlich damit zu tun, dass beiden ein gemeinsames Interesse zugrunde liegt und dass das Kino darauf mit Offenheit reagiert, anstatt sich defensiv zu verschließen: die Veräußerung des Inneren, unserer Seele, Träume, Triebe, Wünsche, Gefühle, das heißt unseres irrationalen, unvernünftigen Ichs. Die Psychoanalyse vertraut dabei der talking cure , dem intimen Gespräch zwischen Analytiker und Analysand. Das Kino dagegen veröffentlicht das bislang Private larger than life auf einer Leinwand, während sich das Publikum im dunklen Kinosaal verbergen kann. Sein Medium sind die bewegten und bewegenden Bilder. Schon Geheimnisse einer Seele zieht als Stummfilm alle Register, wenn er die äußere Wirklichkeit als Produkt einer Neurose schildert. In der Anlage eher langweilig und pädagogisch – ein junger Ehemann wird von einer Messerphobie geheilt, der ein unerfülltes Liebesleben zugrunde liegt, indem er sich analysieren lässt –, ist der Film von Pabst ein visuelles Delirium. Traumgebilde, Erinnerungsfetzen, Fotografien, wahnhafte Vorstellungen stellen sich an die Seite der Realitätseindrücke, beide überlagern und vermischen sich in Doppelbelichtungen, Überblendungen und Spiegelungen. Es ist ein mediales Nerventheater, dem Pabst einen Ausdruck verleiht. Und: Nicht nur spricht im Film ein Psychoanalytiker mit dem Irrationalen, es ist vor allem ein Film, der diesen Wahn-Sinn ausdrücken und ästhetisch, das heißt auch für ein Publikum wahrnehmbar und nachvollziehbar gestalten kann. Geheimnisse einer Seele will einerseits die Psychoanalyse beschreiben, andererseits (und zuallererst) stellt er das Potenzial des Kinos aus, modernen Ängsten und Gefühlen eine wahrnehmbare Form zu geben.

Einen ganz anderen Weg schlägt Suddenly, Last Summer (Joseph Mankiewicz, USA 1959), basierend auf einem Theaterstück von Tennessee Williams, ein, in dem das narrative Setting und die Besetzung der Hauptrollen wichtiger scheinen als visuelle Delirien. Situiert im New Orleans der 1930er Jahre, erzählt der Film nicht zuletzt eine Psychiatriegeschichte: Die alte Mrs. Venable (Katharine Hepburn) engagiert den jungen Neurochirurgen und Psychotherapeuten Dr. Cukrowicz (Montgomery Clift), um ihrer Nichte Catherine (Elisabeth Taylor) gewisse Erinnerungen an Sebastian, Mrs. Venables Sohn, aus dem Hirn zu schneiden. Sich eindeutig auf der Seite der Aufklärung verortend, wird der Arzt die junge Frau keiner Lobotomie unterziehen, sondern sie zur Erzählung einer tabuisierten, verdrängten Geschichte bewegen. In ihren Erinnerungen wird deutlich, dass Sebastian homosexuell war, dass er seine Cousine als Lockvogel für junge Männer missbrauchte und schließlich in einem kleinen spanischen Dorf von einer jugendlichen Meute brutal gesteinigt wurde. Diese Aufhebung der Verdrängung setzt der Film in Rückblenden ins Bild, die in kontrastreichem, grellem Weiß inszeniert werden, und verschränkt derart Ästhetik und Narration. Der Homosexuelle und seine Verfolgung werden im Film als Tabu betrachtet, doch während sich die rohe Gewalt schließlich in der visuellen talking cure Bahn bricht, bleibt der Homosexuelle eine zerstückelte Projektion auf dem Gesicht einer verletzten Frau.

So gesehen nutzen Filme ihre Psychoanalytiker und Psychiater auch als narrative Helden, die Grenzen überschreiten und ein unbekanntes Terrain erforschen dürfen. Ähnlich wie Detektive sind sie aufgerufen, Symbole und Bedeutungen, Identitäten und Projektionen zu entschlüsseln und aufzudecken. Das tun sie einerseits mit klaren moralischen Vorstellungen und als wohlwollende Aufklärer, gelegentlich aber geraten sie selbst in den Strudel der subjektiven Unsicherheiten und Ununterscheidbarkeiten, der fehlenden Grenzen und instabilen Integritäten; das lässt sich schon am Film noir und bis in Neo-Noir-Produktionen wie Brian De Palmas Dressed to Kill (USA 1980) ablesen. Hier hört der analytisch arbeitende Psychiater Robert Elliott (Michael Caine) nicht nur frustrierten Hausfrauen mit ihren unerfüllten erotischen Wünschen zu, er nimmt sie vielmehr zum Anlass, seine eigenen Erregungen auszuleben, indem er – als seine eigene Patientin und als Frau verkleidet – tötet. Analytiker und Analysandin, Mann und Frau zugleich, ist der Seelenheiler selbst eine undefinierbare Person, deren Unsicherheit sich im tödlichen Übergriff auf andere manifestiert. Das Kino nimmt mit den postmodernen Produktionen der 1980er Jahre aber auch eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Psychoanalyse und der Psychiatrie auf, das hat etwas mit einer allgemeinen Antipathie gegenüber Autoritätsfiguren zu tun; dem Psychiater wird nicht ohne weiteres eine Position zugestanden, die ihn moralisch und sozial korrekte Grenzen ziehen lässt.

Eine andere Art, mit Kritik an der Autorität und ihrer Lebensauslegung umzugehen, ist der Witz, deshalb werden Analytiker und ihre  Profession häufig mit einer großen Portion Humor betrachtet. Geradezu symptomatisch für diesen »lächerlichen« Umgang ist das Werk von Woody Allen; fast in jedem seiner Filme bis in die späten 1990er Jahre (als Allen selbst seine Analysen abbrach) gibt es entweder psychoanalytische Szenen oder zumindest einzeilige Treppenwitze über die Psychoanalyse. Näher kommt man Allens Filmschaffen, wenn man beobachtet, dass die Psychoanalyse ihm die Möglichkeit eröffnet, die Geschichte der Menschen in unheroische Erzählungen zu fassen. Der Stadtneurotiker beispielsweise ist als Story völlig uninteressant – erzählt wird von zwei Thirtysomethings, die ihre Beziehung aufgeben und generell mit dem Leben hadern –, genial ist aber, wie sie erzählt wird: in Rückblenden, in Überscheidungen, in Verflechtungen, die rein assoziativ (also fast psychoanalytisch) zusammenmontiert sind. Dazu kommt, dass Allen von einer grundsätzlichen menschlichen Verzweiflung erzählt – vom Scheitern der Humanität angesichts des Holocaust, vom Dilemma, mit einem Bewusstsein über seine eigene Unzulänglichkeit ausgestattet zu sein –, aber doch drei »Mittel« ins Spiel bringt, die zumindest den Umgang damit erleichtern: den Witz, die Psychoanalyse und das Kino.

Die Psychoanalyse – so lässt sich der Blick auf ihre Filmgeschichte resümieren – ist vermutlich nicht verfilmbar, sie wird es erst dort, wo das Kino von der analytischen Situation absieht. Es kann deshalb nicht darum gehen, eine Psychoanalyse »abzufilmen«. Das Kino muss selbst ein Verhältnis zwischen Publikum und Leinwand aufbauen, das es auf ein anderes Wissen abgesehen hat, ein Verhältnis, das analog zur analytischen Situation funktioniert. Das gelingt dann, wenn Filme – auch im Rückgriff auf die Psychoanalyse – tatsächlich ihr eigenes Potenzial einsetzen, das Andere der Vernunft aufzunehmen, von Situationen erzählen, in denen der Mensch eben nicht »Herr im eigenen Haus« ist, und diese in unheroischen Erzählungen fassen. Beide, das Kino und die Psychoanalyse, setzen dabei auf die Kraft des Wiedersehens als einer Selbstreflexion, als eines Blicks zurück auf das, was wir beim ersten Erleben nicht verstanden haben und nicht verstehen konnten. Im Kino wie auf der Couch können wir uns – ohnmächtig und mächtig zugleich – diesem Rückblick hingeben und uns selbst wahrnehmen. Anders formuliert, werden wir als Kinogeher immer auch Analysanden und Analytiker, die nicht nur etwas wissen wollen, sondern am Glücksversprechen festhalten. Das Versprechen der Psychoanalyse, »Elend in gemeines Unglück zu verwandeln«, übersetzt sich im Kino auch als eine Sehnsucht nach Geborgenheit und einem anderen, zumindest provisorischen Heim: »Jeder von uns«, so begreift es Jerome Charyn in »Movieland: Hollywood und die grosse amerikanische Traumkultur«, »ist ein Einwanderer, von seiner Vergangenheit entwurzelt, egal wie viel Mutter- oder Vaterliebe wir geben oder bekommen. Wir bleiben mit einer Art schreiender Leere zurück. Und in dieser Leere haben die Filme angefangen, mit ihren kleinen Schatten an der Wand, die uns getröstet und uns näher an jene Stadt der Nacht herangeführt haben, in der wir zu Hause sind.«

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