Warner Bros.: Harpune oder Messer

»The Jazz Singer« (1927). © Warner Bros. Pictures

»The Jazz Singer« (1927). © Warner Bros. Pictures

Warner im Fadenkreuz von Netflix und Paramount ... Zwei very big corporations belagern eine dritte. Warum löst dieser Vorgang solche Leidenschaften aus? Und ist es wirklich das Ende von Hollywood?

Im Frühjahr 1967 verfiel Jack Warner zusehends in Depressionen. Er hatte gerade seine letzten Anteile an dem Studio verkauft, das er einst mit seinen Brüdern gegründet hatte. Mehr als ein halbes Jahrhundert hatte der Metzgersohn dessen Geschicke mit fester Hand gelenkt. Diesen Rekord konnte ihm niemand mehr streitig machen, denn alle anderen Studiobosse aus der Gründerzeit waren mittlerweile entweder tot oder von den Aktionären gefeuert worden. Aber nun war Jack Warner nur noch ein ganz normaler Millionär.

Ob David Zaslav sich ähnliche Sorgen macht, ist fraglich. Auch der CEO von Warner Bros. Discovery (WBD) wird demnächst seinen Posten räumen. Dann wird er, wenn man seine umfangreiche Vergütung und seine Firmenanteile zusammenrechnet, Milliardär sein. Dafür würde voraussichtlich schon das Angebot von Netflix genügen, das 82,7 Milliarden Dollar für den Medienkonzern bietet. Im nicht ganz unwahrscheinlichen Fall einer feindlichen Übernahme durch Paramount/Skydance, die derzeit 108,4 Milliarden bieten, würde sich Zaslavs Ruhestandsgeld noch einmal massiv erhöhen.

Viele Beobachter hörten bereits die Totenglocken für die Filmmetropole läuten, als der Streamingdienst Anfang Dezember sein Angebot unterbreitete. Diesem sei vor allem daran gelegen, die Konkurrenz des konzerneigenen Portals HBO Max zu übernehmen. Und überhaupt stünde plötzlich das gesamte Kinogeschäft zur Disposition: Netflix habe wenig bis gar kein Interesse daran, am bisherigen Modell der Kinoauswertung festzuhalten, das immerhin seit fast 130 Jahren Bestand hat. Wäre der Konzern da nicht bei Paramount in besseren Händen? Das Angebot des jetzigen Eigentümers David Ellison hat jedoch einen politischen Makel. Sein Vater Larry Ellison, der Gründer von Oracle, steht Präsident Trump überaus nahe. Dessen Schwiegersohn Jared Kushner wiederum gehört neben Ellison Senior zu den wichtigsten Investoren von Paramount (hat sich aber, wie knapp vor Drucklegung des Hefts gemeldet wurde, aus dem Geschäft zurückgezogen – es bleibt spannend). Der Präsident hat bereits angekündigt, sich in das Übernahmeverfahren einzumischen. Er schützt kartellrechtliche Bedenken vor (mit Netflix und HBO Max würden der größte und der drittgrößte Streamer fusionieren), wittert aber möglicherweise die Gelegenheit, im Zuge eines Deals mit Paramount etliche Moderatoren des zu WBD gehörenden Senders CNN mundtot machen zu können. Stehen Warners also vor der Wahl, mit einer Harpune oder einem Messer getötet zu werden?

Die aktuelle Bieterschlacht scheint die Gemüter weit stärker zu beschäftigen als beispielsweise vor einigen Jahren der Kauf von 21st Century Fox durch den Disney-Konzern. Es scheint, diesmal gehe es ums Eingemachte: Es steht nicht nur die Zukunft eines Traditionsstudios auf dem Spiel, sondern die eines Mythos. Die Brüder Warner führten das Filmgeschäft mit »The Jazz Singer« 1927 ins Tonfilmzeitalter und unterstützten während der Depressionsära Roosevelts New Deal mit Dramen, deren Geschichten geradewegs den Zeitungsschlagzeilen entnommen waren. Zu ihrem Portfolio gehörten ruppige Gangsterfilme mit Humphrey Bogart und James Cagney. Melodramen mit Bette Davis und Joan Crawford sowie Abenteuerfilme mit dem tollkühnen Errol Flynn. Regisseure wie Michael Curtiz und Raoul Walsh schufen einen unverkennbaren Studiostil, der mit »Casablanca« ikonisch wurde. Nach Jacks Ausscheiden legte »Bonnie und Clyde« 1967 einen Grundstein für das New Hollywood. Seither bewiesen Warner eine einzigartige Treue zu Clint Eastwood und Stanley Kubrick. In den letzten drei Jahrzehnten lancierte das Studio mit »Matrix«, »Batman«, der »Harry Potter«-Serie und »Herr der Ringe« einige der lukrativsten Franchises. Das war kein Studiostil mehr, aber ein Geschäftsmodell. Noch in diesem Jahr feierte das Studio mit originellen Projekten wie »Blood & Sinners«, »Weapons« und »One Battle After Another« überraschende Blockbustererfolge. Der Marktanteil liegt mit 26 Prozent noch vor dem von Disney und ist fast dreimal so hoch wie der von Paramount.

Zu Nostalgie besteht indes kein Anlass. Eine vormals liebgewonnene, fest umrissene Identität besitzt das Studio längst nicht mehr. Wie sehr sich das Filmgeschäft gewandelt hat, zeigen allein die Namenswechsel der letzten 25 Jahre: Aus Time Warner wurde AOL Warner und (nach der Übernahme durch AT&T) Warner Media. Bereits 2020 schockierte der damalige CEO Jason Kilar die Branche, als er überlegte, das gesamte Filmpaket des nächsten Jahres ins Streaming zu geben. Christopher Nolan verließ daraufhin seine angestammte künstlerische Heimat. Nachdem der Discovery-Chef Zaslav 2022 bei WBD die Zügel übernahm, düpierte er Eastwood, immerhin für mehr als fünf Jahrzehnte das kassenträchtige Aushängeschild von Warner, indem er dessen »Juror No. 2« nur einen schäbig kurzen Kinostart zubilligte. Von Loyalität keine Spur. Und nicht einmal mehr ein Geschäftsmodell.

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