Kritik zu Formen moderner Erschöpfung
Sascha Hilpert erzählt auf eigenwillige Weise von zwei Menschen, die eine Krise erleben und in einer abgeschiedenen Klinik therapeutische Unterstützung finden
Im Harz liegt eine psychosomatische Klinik, die man unwillkürlich »Sanatorium« oder »Heilstätte« nennen möchte, denn eigentlich gibt es Orte wie diesen gar nicht mehr: von außen ein eingeschneiter Villenkomplex, innen Jugendstiltapeten, üppige Kronleuchter, Knabengesang, Holztäfelungen allüberall. Ein solcher Ort und seine Inszenierung bringen Assoziationsfülle mit: »Zauberberg«, »Shining«, ein Therapiepferd lässt an Nietzsches nervösen Zusammenbruch in Turin denken. Doch Sascha Hilperts Film erliegt nicht den opulent-nostalgischen Reizen und Horroranklängen – das alte Gebäude ist unmissverständlich von Gegenwartsmenschen bevölkert. Zwei Erschöpfte nehmen den Mittelpunkt ein: Nina, eine Topmanagerin der Werbebranche, der Sohn und Ehemann entglitten sind. Und Henri, erst Opernsänger, dann Sozialarbeiter, der unter dem Suizid des Bruders und der Despotie des Vaters leidet. Allmählich entsteht etwas wie Nähe, ganz so, wie Nina sich nach ersten zögerlich-abwehrenden Versuchen für ihre Therapie öffnen kann.
Wenn wir ihren Therapiegesprächen beiwohnen, den Körperübungen und Kreativsitzungen, dann hat das eine enervierend authentische Qualität, nicht nur im Schauspiel; immer wieder mutet der Film quasidokumentarisch an und eröffnet mit dem Sanatorium einen Raum, der der Welt entrückt und dabei völlig glaubwürdig in der lebendigen Gegenwart ist. Auch sich selbst verordnet der Film eine strenge Kur: entsättigte Farben, strenge Bildkompositionen, geordnete Besuche bei diesen und jenen Figuren, nie zu viel Aufregung, dazu ein gerüttelt Maß Langeweile, um zur Ruhe zu kommen oder in sich zu gehen. Zeit, einmal in alten Briefen zu lesen, die ans und aus dem Sanatorium geschrieben wurden. Reale Textauszüge setzen Damals und Heute ins Verhältnis.
Den Titel leiht der Film sich vom Untertitel der Dissertation »Neurasthenie und Burnout« der Historikerin Sarah Bernhardt. Sie forscht auf der Hinterbühne des Hauses und des Films nach der gesellschaftlich-sprachlichen Geschichte von Erschöpfungserkrankungen. Goethe sprach von »Weibischem Zagen«, später wurde Nervenschwäche diagnostiziert, heute wollen »Burn-out« oder eine ICD-10-Nummer den Zustand beschreiben, wenn einen Menschen die alltäglichen Kräfte verlassen. Dabei ist der Film zu keinem Zeitpunkt Katalog oder Essay. Eher eine eigenwillige, unverbindlich an psychischem Darniederliegen interessierte Beobachtung, die lange Einzelgespräche mitverfolgt, um sich dann wieder den Treppenhäusern, dem Personal oder einem Spaziergang zuzuwenden.
Zwei bedenkenswerte und eng verwandte Gegensätze macht der Film dann doch in klarsten Worten auf. Der eine ist der zwischen der Betrachtung psychischer Leiden als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse und als hochpersönliche Krise. Der andere, vorgetragen von der Historikerin, ist der zwischen den Paradigmen von »Ruhe« um 1900 und »Achtsamkeit« heute. Wo die Ruhe eine Umgestaltung der Umwelt, den Rückzug, die Verringerung der Einflüsse nötigte, verlegt Achtsamkeit die Lösung ins Innerliche, am Leben vorbei.





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