Buch-Tipp: Knut Elstermann – Bach bewegt

Jede Zeit hat ihren Bach

»Bitte erwarten Sie keine neuen musikalischen Erkenntnisse, die über das Schwärmen eines Bach rettungslos Verfallenen hinausgehen«, bekennt Knut Elstermann gleich zu Anfang. Schon als Zwölfjähriger erlebte er seine Bach-Initiation beim »Weihnachtsoratorium«, für das er sich selbst ein Ticket kaufte. Später half ihm Bach über seine Flugangst hinweg, und lebensverlängernd nennt er sein Verhältnis zum Komponisten auch sonst, schließlich wolle er zumindest so lange leben, bis er jede Kantate verstanden habe.

Spürbar persönlich angelegt ist dieses Büchlein und geht doch weit darüber hinaus, in der Gründlichkeit der Recherche und im Anspruch, zwischen Realität und Fiktionen zu vermitteln. Man kann es als Roadmovie betrachten, durch die Geschichte der Darstellungen des berühmten Komponisten in 16 Filmen. Und als Pilgerreise, in deren Verlauf der Autor die Lebensstationen Bachs besucht und mit vielen Bach-Kennern spricht, unter anderem mit Michael Maul, dem Intendanten des Leipziger Bachfestes und Entdecker eines bis dahin unbekannten Notenwerks von Bach, einer Restauratorin, die kostbare Originaldokumente vor dem Tintenfraß schützt, mit den Bach-Darstellern Charly Hübner und Devid Striesow, der sich 20 Kilo angefressen hatte, um den Komponisten in »Bach – Ein Weihnachtswunder« zu spielen, dem Bildhauer Bernd Göbel, der das Arnstädter Bach-Denkmal erschaffen hat, der Kostümbildnerin, die den Autor im Adlershofer Fundus Bachs Weste anprobieren lässt, und mit dem Leipziger Thomaskantor Jörg Reddin, musikalischer Berater beim Dokumentarfilmporträt »Encountering Bach«.

Der Mangel an verlässlichen Überlieferungen und Porträts – ein einziges gibt es, für das Bach persönlich Modell gesessen hat – eröffnet großen Spielraum für filmische Erzählungen. Gerade weil Bach so enigmatisch bleibe, sei es leicht, sich Filmbilder von ihm zu machen, findet Elstermann. Und »jede Zeit erfindet sich ihren Bach, jeder Film tut das auch«, angefangen mit dem ersten Biopic im Nationalsozialismus. »Ich hätte mir einen würdigeren ersten Film-Bach gewünscht«, beklagt er, keinen zum »biederen Väterchen Bach« verkleinerten. Lustvoll klopft Elstermann die Verästelungen des Möglichen und Vertanen ab, eine verpasste Chance, ihn nicht im »Fridericus-Rex«-Biopic auftreten zu lassen, und »einen Film über die Kindheit würde ich gerne sehen«. Das Making-of der Filme ist angereichert mit biografischen Notizen zu den Filmemachern, das Anekdotische geht im erzählerischen Fluss auf.

Neben den Darstellungen Bachs in Haupt- und Nebenrollen (Hans-Joachim Kulenkampff!) streift der Band schließlich noch den Einsatz seiner ebenso zeitlosen wie universellen Kompositionen als Filmmusik, bei Pasolini, der die »vorgefundene Musik so feinfühlig eingesetzt hat, als sei sie für ihn geschrieben«, in »Gespenster« und »Undine« bei Christian Petzold, in Spielbergs »Schindlers Liste« und dem James-Bond-Film »Der Spion, der mich liebte«. Alles in allem also eine bewegte und bewegende Passage durchs Bach-Universum.


 

Knut Elstermann: Bach bewegt. Be.bra-Verlag, Berlin 2025. 176 S., 20 €.

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