Kritik zu Hannah Arendt – Denken ist gefährlich
Kompakter, auch für Einsteiger geeigneter Dokumentarfilm über Leben und Werk der Philosophin und Publizistin
Hannah Arendt ist die bedeutendste Denkerin des 20. Jahrhunderts. Ihre berühmte Studie über die Ursprünge totalitärer Herrschaft schaffte es in den letzten Jahren auf die Bestsellerlisten. Kurz vor Arendts fünfzigstem Todestag am 4. Dezember 2025 kommt nun ein Dokumentarfilm über diese faszinierende Persönlichkeit in die Kinos. Nina Hoss verleiht ihr ihre Stimme. Anhand der Stationen ihres Lebens zeigt der Film, wie unmittelbar Arendts Leben und Werk von den dramatischen Vorgängen ihrer Zeit geprägt waren.
Als die junge Hannah Arendt ihr Philosophiestudium in Marburg aufnahm, wo sie mit dem 35-jährigen Philosophen Martin Heidegger ein Liebesverhältnis einging, betrat Hitler die politische Bühne. »Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude wehren«, lautete Arendts Überzeugung. Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 beherbergt sie verfolgte Kommunisten in ihrer Berliner Wohnung. Sie erstellt eine Sammlung über antisemitische Berichterstattung, wird denunziert und verhaftet. Nach ihrer Freilassung flieht sie nach Paris und rettet jüdische Jugendliche vor den Nazis nach Palästina. 1941 gelingt Arendt die Flucht in die USA. Zehn Jahre später wird sie amerikanische Staatsbürgerin. Ihr Wirken in den USA und ihre umstrittene Berichterstattung über den Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem sind Themen im letzten Drittel des Films. Arendt mischte sich in die politischen Debatten der USA ein. Die McCarthy-Ära, der Vietnamkrieg und die Watergate-Affäre beschäftigten sie, und sie warnte vor der Krise der amerikanischen Demokratie.
Der Film stützt sich auf eingesprochene Zitate aus Arendts Schriften, Briefen und Gedichten sowie Fotos von ihr und ihren Weggefährten. Auch auf Ausschnitte aus Fernsehinterviews, insbesondere Arendts legendäres ZDF-Gespräch von 1964 mit dem Journalisten Günter Gaus. Einschätzungen von Weggefährten und Einordnungen heutiger Wissenschaftler*innen ergänzen das Spektrum. Hinzu kommen historische Archivaufnahmen, die die Zeit dokumentieren sollen. Neben Filmausschnitten mit atmosphärischem Kolorit finden sich Originalausschnitte zum Zeitgeschehen, darunter Aufnahmen mit Hitler, Filmdokumente von der Befreiung der Überlebenden der Konzentrationslager sowie vom Eichmann-Prozess in Jerusalem, an dem Arendt teilnahm. Gelegentlich irritiert die Herauslösung von Archivmaterial aus dem konkreten historischen Zusammenhang. So kommt zum Beispiel ein Tonausschnitt vor, in dem Hitler »die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa« androht. Dieser Ausschnitt ist einer Sequenz unterlegt, in der es um den entflammten Antisemitismus infolge der Weltwirtschaftskrise 1929/30 geht. Thematisch mag das stimmig sein, doch es ist historisch ungenau. In Wirklichkeit hielt Hitler diese ominöse Rede am 30. Januar 1939 vor dem Reichstag, kurz nach den Novemberpogromen, als die Verfolgung von Juden und Jüdinnen in systematische Vernichtung mündete. Nichtsdestotrotz lohnt sich dieser sehenswerte Film für alle, die Hannah Arendt entdecken und sich von ihrem Lebensmut und der Aktualität ihres Denkens überzeugen möchten.
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