Kritik zu Drei Kilometer bis zum Ende der Welt
Emanuel Pârvus Film wurde in Cannes im letzten Jahr mit der »Queer Palm« ausgezeichnet. Mit unnachgiebiger Gründlichkeit schildert er das soziale Klima eines Dorfs im Donaudelta, wo archaische Homophobie und Fremdenfeindlichkeit herrschen
Das Verhör findet in entspannter Atmosphäre statt. Auf der Veranda stehen Weißwein und Antipasti. Dem Polizeichef kommt der informelle Rahmen entgegen. Er will die Angelegenheit lautlos hinter sich bringen, da er vorhat, demnächst in Frührente zu gehen, und sich keine Scherereien leisten kann. Die beiden Täter sind geständig; dafür hat ihr Vater – ein Mann mit Einfluss – gesorgt.
In dem kleinen Dorf im Donaudelta ist man es gewohnt, Probleme auf kurzen Wegen beizulegen. Bisher ließ sich alles einvernehmlich und unter der Hand regeln. Aber nun steht eine Anzeige im Raum, die eigentlich den Dienstweg verlangt. Adi, der 17-jährige Sohn eines Fischers, wurde nachts auf dem Heimweg brutal zusammengeschlagen. Ihr Motiv verhehlen die Beschuldigten nicht: Sie haben beobachtet, wie Adi und ein Tourist sich leidenschaftlich küssten und meinten, eine Schwuchtel dürfe nicht ungeschoren davonkommen. So etwas hat es in dem Dorf, das nur auf dem Wasserweg zu erreichen ist und über keine befestigten Straßen verfügt, noch nicht gegeben. Diesem Ökosystem eignet eine Schönheit ohnegleichen, die indes trügerisch ist. Denn schnell wird in Emanuel Pârvus Film klar, dass in den Augen der Gemeinschaft nicht die Tat infam ist, sondern das Opfer.
Das Verbrechen, das an Adi begangen wurde, findet in einer Ellipse statt – gerade so wie in den Filmen Asghar Farhadis, wo es um die erzählerische Rekonstruktion der Wahrheit geht. In der archaischen Welt hingegen, in die Pârvu das Publikum entführt, soll diese um jeden Preis vertuscht werden. Fortan ist der Junge ein Ausgestoßener. Sein Vater Florin kehrt sich von ihm ab; er hatte große Pläne für ihn, wollte, dass er auf die Militärakademie geht. Seine Mutter ruft in ihrer Verzweiflung den Priester zu Hilfe, der die vermeintliche Krankheit des Sohnes heilen soll. Die Eltern fesseln und knebeln ihn, damit ein Exorzismus an ihm vollzogen werden kann. Es fügt sich, dass Florin beim Vater der zwei Schläger Schulden hat, die ihm erlassen würden, wenn sein Sohn die Anzeige zurückzieht. Einzig Adis Freundin Ilinca steht Adi loyal zur Seite.
Pârvu schildert das Milieu provinzieller Engherzigkeit und Bigotterie mit unerbittlicher Genauigkeit. Er verdichtet das soziale Klima so sehr, dass es gar glaubhaft wirkt, wenn Florin folgenden ungeheuerlichen Satz über seinen Sohn sagt: »Ich habe ihn gezeugt, ich kann ihn töten.« Rettung kann eigentlich nur von außen kommen. Eine Beamtin vom Jugendamt tritt auf den Plan. Als die Kamera sie einmal im Vordergrund in der Unschärfe hält, während Adis Vater und der Polizeichef tiefenscharf zu sehen sind, gewinnen indes die Machtverhältnisse Kontur. Die argwöhnische Beweglichkeit von Silviu Stavilas Kamera verleiht nur denen Souveränität, die über Adis Kopf hinweg entscheiden. Was in ihm selbst vorgeht, bleibt eine rätselhafte Leerstelle im Film: eine offene Wunde. Sein Aufbegehren wird nur mehr skizziert. Sein Schmerz hingegen ist tief und den Blessuren in Gesicht und am Körper bleibt kaum Zeit, um zu vernarben.
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