Kritik zu Der letzte Takt
In Sigurjón Kjartanssons Künstlerkomödie mit MeToo-Thema trifft das bestens aufeinander eingespielte Schauspielerensemble genau den richtigen Ton
Vivaldis Sommer in den »Vier Jahreszeiten« lebt im Konzert vom perfekten Zusammenspiel der Streicher. In Sigurjón Kjartanssons Komödie »Der letzte Takt« spielt sich ein isländisches Kammerorchester in Reykjavik in einen künstlerisch anspruchsvollen Rausch. Allerdings spiegeln einige der Gesichter des Sextetts nicht etwa den musikalischen Spannungsbogen wider, sondern auf gegenseitiger Abneigung gründende Disharmonie. Bergsteinn Björgúlfssons Kamera nimmt in rasant geschnittenen Großaufnahmen eine Variation des Themas »Wenn Blicke töten könnten« auf. Sigrídur (Helga Braga Jónsdóttir) bringt den Auftritt ihrer Truppe vor kleinem Publikum dennoch auf eine optimistische Formel: »Also, das ist doch wieder wunderbar gelaufen.«
Der Isländer Kjartansson (Buch und Regie), bekannt als Drehbuchautor für Fernsehserien wie »Trapped – Gefangen in Island« und »Katla«, enttarnt schnell die Realität hinter einer mühsam aufrechterhaltenen Fassade. Persönliches (Eifersucht, Affären) spaltet die Musiker; ihr Spielort in Reykjavik ist marode; die Publikumsquote stimmt nicht mehr; Finanzierung und Zukunft sind unsicher; das Ende scheint nah. Hoffnung auf Rettung nährt die Rückkehr des weltberühmten Cellisten Klemens (Hilmir Snær Guðnason) in seine Heimat. Er erklärt sich bereit, Mitglied des Kammerorchesters zu werden. Im Hotelzimmer stößt er mit Sigrídur beim ersten Zusammentreffen mit Whisky auf die Zusammenarbeit an und fragt: »Gehen wir duschen?«
Ein übergriffiger Narzisst, von dem es heißt, »er begrapscht alles, was sich bewegt«, verkompliziert die ohnehin schon konfliktreiche Dynamik des Musikerkollektivs. Kjartansson vereint in seinem Film exaltierte Künstlerkomödie, nuanciertes Beziehungskammerspiel und seriöses MeToo-Drama. Gleichzeitig verhandelt »Der letzte Takt« ein bekanntes Phänomen: Fragwürdige Persönlichkeiten können große Kunst hervorbringen. Zum Beispiel hinreißende Interpretationen der Werke von Bach, Pergolesi, Händel und Mozart. Klemens garantiert einen vollen Konzertsaal: »uppselt«, ausverkauft.
Der Erfolg des Films beruht auf einem Ensemble, das für alle Handlungsschichten die richtigen Töne trifft. Svenni (Halldór Gylfason) ist erfüllt von nur mühsam beherrschtem Eifersuchtsfuror; er hasst mit einem Lächeln. Vivian Ólafsdóttir zahlt als Hödd einen hohen Preis für die Eitelkeit, mit der sie anfangs auf Klemens’ Annäherungsversuche reagiert. Hilmir Snær Guðnason in der Rolle des Cellisten verkörpert einen Mann ohne Sinn für Hemmschwellen, Rücksicht und Verantwortungsgefühl: eine penetrant lächelnde Amoralität.
Er wird zum Objekt einer höheren Gerechtigkeit. Sie vollzieht sich im zweiten Teil des Films in einem von tiefschwarzem Humor geprägten Prozess. Im bisher wichtigsten Konzert seiner Existenz muss das Kammerorchester auf Klemens in einem extrem ungewöhnlichen Zustand vertrauen; auf Details einzugehen, verbietet sich an dieser Stelle. Der Film bewegt sich in Riesenschritten in Richtung Absurdistan, setzt mit fast schon kindlich anmutendem Vergnügen slapstickhafte Akzente: Klassik trifft auf Kolportage.
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