Netflix: »Katla«

»Katla« (Serie, 2021). © Lilja Jonsdottir / Netflix

»Katla« (Serie, 2021). © Lilja Jonsdottir / Netflix

Zurück aus der Asche

Katla ist der Name eines isländischen Vulkansystems in direkter Nachbarschaft des unaussprechlichen Eyjafjallajökull. Ein Ausbruch des Letzteren legte 2010 infolge diffundierter Aschenebel den kompletten Flugverkehr in Nord- und Mitteleuropa lahm. Welche Störungen nun die Aktivitäten der Katla hervorbringen, davon handelt die gleichnamige Mystery-Serie, die der Isländer Baltasar Kormákur als Regisseur und Co-Autor für Netflix realisierte.

Angesiedelt ist der Achtteiler in Vik, einer am Fuße der Katla gelegenen Ortschaft, die infolge vulkanischer Eruptionen weitgehend evakuiert werden musste. Verbliebene im Sperrgebiet haben seltsame Begegnungen. Der schrullige Mechaniker Tor staunt nicht schlecht, als plötzlich Gunhild vor ihm steht, eine Schwedin, mit der er einst seine Gattin betrog – und die merkwürdigerweise so aussieht, als wäre sie in zwanzig Jahren nicht gealtert. Als Nächstes kehrt eine junge Frau zurück, die seit ihrem Sturz in eine Gletscherspalte vor einem Jahr vermisst wurde.

Es sind nicht die einzigen Wiedergänger. Bei ihrem Erscheinen sind sie splitternackt. Asche bedeckt ihre Körper wie eine zweite Haut. Es sind aber nicht nur Tote, die auf diese Weise die Gefühlswelt der Lebenden ins Chaos stürzen. Als der Polizist Gisli, der aufopferungsvoll seine bettlägerige Frau pflegt, eine gesunde und quicklebendige Dopplung seiner Gattin trifft, kommt der gottesfürchtige Gesetzeshüter auf teuflische Gedanken.

Nach diversen Hollywood-Projekten kehrt Kormákur nun zu seinen Wurzeln zurück. »Katla« erzählt von Wiedergängern, die unerfüllte Sehnsüchte und Konflikte leibhaftig verkörpern. Neu ist dieses Motiv nicht. »Katla« verbeugt sich vor der französischen Serie »Les Revenants«. Der Vulkan, der das Unbewusste nach außen stülpt, erinnert auch an jenen lebenden Ozean, der in Andrej Tarkowskis »Solaris« die Besatzung einer Raumstation mit den Dämonen ihrer Vergangenheit konfrontiert.

Dieses Konzept wird in »Katla« psychologisch nuanciert durchdekliniert. Wiedergänger konfrontieren die Menschen in Vik mit blinden Flecken ihrer Weltsicht. Rakel und ihren Mann Darri trifft es besonders hart. Sie haben ihren neunjährigen Sohn verloren. Über den Verlust ist ihre Ehe zerbrochen. Der aus der Asche wiedergeborene Junge erweist sich als Teufelsbraten, der seinen Eltern den Spiegel vorhält. Rakel und Darri reagieren mit biblischer Grausamkeit. Zu einem Ereignis wird die Serie dank ihrer gespenstischen Kulisse. Im Hintergrund pustet der Vulkan gigantische Dampfwolken in den Himmel. Die von einer Ascheschicht bedeckte Landschaft erstrahlt, teilweise schneebedeckt, in einem seltsamen schwarzweißen Zwielicht. Kormákur gelingt ein schmerzlich-melancholischer Blick in die Seelen einer Gruppe von Menschen am Rande der wirklichen Welt. Das letzte Bild deutet an, dass die Wiedergänger sich ausbreiten wie Zombies. Dieser »Ausbruch« der Katla, so ist zu vermuten, wird nicht nur den Flugverkehr lahmlegen.

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