Kritik zu Alle lieben Touda
Sinnlich-elektrisierendes Drama um eine junge Frau, die als traditionelle Sheikha-Sängerin ihr Glück in Casablanca sucht
Es gibt Filme, die plätschern so dahin ohne Überraschungen oder Spannungsbogen, dafür mit so mancher Ungereimtheit. Und dennoch lassen sie einen in ihren Bildern, ihrer Musik versinken. Und ebenso oft ist da eine Figur und ihre Darstellerin oder ihr Darsteller, die eine soghafte Faszination ausübt, der man fast bedingungslos folgt. Genauso ein Film ist Nabil Ayouchs »Alle lieben Touda«, weniger spannend oder überraschend, dafür aber sinnlich-elektrisierend und voller Energie dank seiner Hauptdarstellerin Nisrin Erradi. In Ayouchs Musical-Film von 2021 »Haut et fort« ging es um Hip-Hop. Nun widmet sich der französische Regisseur der traditionellen marokkanischen Aita-Kunst, dem Kampfgesang der Marokkanerinnen.
Touda (Erradi) träumt davon, eine Sheikha zu sein, eine jener Künstlerinnen, die die Lieder über Widerstand, Liebe und Emanzipation der kämpferischen Dichterinnen singen. Noch allerdings tritt sie jeden Abend in düsteren Bars in der Provinz unter den lüsternen Blicken der Männer auf. Eine nächtliche Vergewaltigung lässt sie zwar beschädigt zurück, doch Erwähnung findet sie weiter nicht. Touda erträgt ihr Schicksal, ohne daran zu zerbrechen. Denn sie hat einen Traum, den sie verfolgt, auch um ihrem kleinen gehörlosen Sohn eine angemessene Schulbildung zu ermöglichen. Sie selbst ist Analphabetin, eine Förderung ihres Kindes in dem Dorf unmöglich. Also macht sie sich tatsächlich eines Tages auf den Weg nach Casablanca. Das Theater, das sie dort ansteuert, ist seit 30 Jahren geschlossen, die Suche nach einem Zimmer schwierig, und auch in den Bars Casablancas ist sie den Aufdringlichkeiten der Männer ausgesetzt. Doch Touda lässt sich nicht unterkriegen, nicht von den Anzüglichkeiten, nicht von der Arroganz der Großstädterinnen und -städter, die lieber Popmusik als klagende Gesänge hören möchten und sie als Landei verspotten, nicht von der Einsamkeit.
In langen Szenen folgt die Kamera Touda, schwenkt auf ihr leidenschaftliches Gesicht, rückt ganz nah an ihre glitzernden Gewänder, den traditionellen, klirrenden Gürtel um ihre schwingenden Hüften. Sie ist selbstbewusst, ein ihr wohlwollender alter Musiker bezeichnet sie einmal gar als »großspurig«. Gleichzeitig trägt sie eine brodelnde Wut in sich, die sich immer wieder entlädt.
»Alle lieben Touda« ist ein betörender Film mit einer kraftvollen Erradi als Touda. Und doch bleiben die Geschichte und ihre Figur in vielem unklar. Dass eine junge Frau, die ihr Leben lang in der Provinz gelebt hat, sich derart weltgewandt und selbstbewusst in der großstädtischen Fremde bewegt und sich als Künstlerin und flammende Kämpferin für ihre Unabhängigkeit und damit für die aller Frauen präsentiert, mag man ihr kaum richtig abnehmen. Touda sieht sich als Star, die Männer sehen sie als Showgirl und Objekt der Begierde. Dieses Dilemma löst Ayouch, der mit seiner Frau Maryam Touzani auch das Drehbuch geschrieben hat, nicht auf. Am Ende behält Touda zwar ihre Unabhängigkeit – allerdings zu einem hohen Preis.
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