DVD-Tipp: »Mastroianni 100«

Der verunsicherte Mann

Erst sieben Minuten vor Filmende hat er seinen ersten Auftritt, 1952 in »Die Mädchen vom Spanischen Platz«: Als Taxifahrer genügen Marcello Mastroianni zwei knappe Szenen, um seiner Passagierin einen Heiratsantrag zu machen. Nach den vielen zwielichtigen Männern, die der Film zuvor zeigte, überzeugt er durch gradlinige Aufrichtigkeit – der Auftritt hätte ihn sofort für Größeres qualifizieren sollen, dabei war es schon der fünfzehnte Film in seiner Karriere, die 1939 als Statist begonnen hatte.

Trotz Starqualitäten ein Teamplayer, der gerade seinen weiblichen Gegenparts gerne das Rampenlicht überlässt. In der ländlichen Komödie »Tage der Liebe« (1954) ist das Marina Vlady. Die beiden stammen aus benachbarten Familien und würden gerne heiraten, doch das Geld für eine große Hochzeit können auch beide Familien zusammen nicht aufbringen. Drei Jahre später, in »Schade, dass Du eine Kanaille bist« ist es Sophia Loren, die den Film dominiert, eine Kleinkriminelle, die den Taxifahrer durch permanentes Reden und Lügen wiederholt an den Rand der Verzweiflung bringt.

Dafür scheint er in »Wie herrlich, eine Frau zu sein« (1956) zunächst als der Dominante, ein Fotograf, dessen sexuell aufgeladenes Foto von Sophia Loren die Titelseite einer Zeitschrift ziert. Was sie und ihren Anwalt/Verlobten auf Schadensersatz klagen lässt. Doch mit der Aussicht auf eine Karriere vor der Kamera kann der Fotograf sie in sein Studio locken, wo eine Abblende andeutet, dass das Folgen hat. Auch hier ist es die Frau, die sich am Ende durchsetzt. Mit diesem Film verlassen wir das Milieu der kleinen Leute, noch präsent in »Der schönste Augenblick«: Als Arzt hat er eine heimliche Liebesbeziehung zu einer Krankenschwester, stellt aber seine Karriere über alles – eine Vorwegnahme späterer zwiespältiger Figuren.

Dass mit den sechziger Jahren auch im italienischen Kino neue Zeiten anbrechen, zeigen »Bel Antonio« (1960) und »Trauen sie Alfredo einen Mord zu?« (1961). Die Auseinandersetzung mit der katholischen Sexualmoral, die immer wieder anklang, wird hier explizit geführt: Bel Antonio ist ein Playboy, dessen Eskapaden in Rom in seiner Heimatstadt Catania nicht unbekannt sind. Hier werden die Kinder von ihren Eltern noch unter monetären Gesichtspunkten verheiratet. Daher wird die Ehe zwischen Antonio und Barbara wieder geschieden, als er seinen ehelichen Pflichten nicht nachkommen kann – wahre Liebe führt bei ihm zu Impotenz.

Der Liebe ganz abgeschworen hat Alfredo, ein zwielichtiger Antiquitätenhändler, der Frauen für seine Zweck einzuspannen weiß. Zu Beginn sieht man ihn seine luxuriöse Wohnung hoch über dem Spanischen Platz betreten, das schließt den Kreis zum ersten Film dieser Edition, der die Spanische Treppe noch als Treffpunkt aller Römer verortete. Neben diesen zwei Schlüsselfilmen (für den Schauspieler wie für das italienische Nachkriegskino) bietet diese Zusammenstellung einen Einblick in das populäre italienische Kino der fünfziger Jahre mit Werken, die heute nur noch gelegentlich in den Nachtprogramme der Dritten auftauchen.

Neun der elf (untertitelten) Filme liegen auch in deutscher Synchronfassung vor. Wie herrlich . . . zudem in englischer Fassung. Es gibt kurze Interviews mit Regisseuren, deren Mitarbeitern oder Nachfahren, zu »Tödlicher Irrtum« (1973), der sich wie ein Fremdkörper gegenüber den anderen zehn Filmen ausnimmt, sowie zu Alfredo einer aufschlussreichen Filmanalyse des Kritikers Jean A. Gili.

Das 80-seitige Booklet bietet Reproduktionen von Fotos und Filmprogrammen sowie einen 16-seitigen Text von Stefan Jung, der Mastroiannis Karriere unter dem Gesichtspunkt Maskulinität betrachtet.



Mastroianni 100 1952-1973; DVD/ Blu-ray-Box mit elf Filmen. Anbieter: Plaion.

VÖ: 26. September 2024

Bestellmöglichkeit (Blu-ray-Box)

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt