Kritik zu Geheimnis eines Lebens

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Judi Dench spielt die »rote Joan«, die als Sekretärin seit den späten 30er Jahren Informationen über das geheime britische Atombombenprogramm an den sowjetischen Geheimdienst weiterleitete und erst 1999 als Rentnerin verhaftet wurde

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Spionage lebt vom Identitätsschwindel, davon, dass niemand weiß, wer man wirklich ist und in wessen Auftrag man agiert. Davon, dass man harmlos und unschuldig aussieht, während man verborgene Ziele verfolgt. Was also könnte sich hinter der äußeren Erscheinung einer harmlos wirkenden alten Dame mit grauem Haar und faltigen Zügen, in Kittelschürze mit Gartenschere in der Hand im Vorgarten eines englischen Kleinstadthauses verbergen? Eines Tages in den 90er Jahren stürmen Agenten des MI5 ins Haus von Joan Stanley und nehmen sie fest, wegen Verdacht auf Spionage und Hochverrat. Die Situation wirkt absurd, die betagte Dame wie das Opfer eines Irrtums: Sie stammelt, wirkt verloren, bestreitet alles, ihr Sohn, ein Anwalt eilt zu Hilfe. Nur langsam bröckelt ihre Fassade, überwältigt von den Anschuldigungen und einer Serie von Rückblendenerinnerungen gibt sie den Widerstand auf, gesteht, dass sie die Sowjet­union jahrelang mit geheimen Informationen versorgt hat, angefangen in den frühen vierziger Jahren, als sie als Physikerin im Umfeld des geheimen britischen Atombombenprogramms tätig war.

Ein irrwitziger Stoff, den der Theater- und Fernsehregisseur Trevor Nunn in seinem dritten Kinofilm nach Verfilmungen von Ibsens »Hedda Gabler« und Shakespeares »Was ihr wollt« leider enttäuschend bieder inszeniert, auch in den Rückblenden, in denen die »rote Joan«, wie sie im Originaltitel bezeichnet wird, von Sophie Cookson verkörpert wird. Nur in kurzen Momenten schimmert im Spiel der großen Dame Judi Dench etwas geheimnisvoll Vages auf, das aber sofort wieder verfliegt, als würde der Film aus der Hilflosigkeit der alten Dame keinen spannenden Weg ins Doppelspiel einer Agentin finden. Schwerfällig wird jede Frage im Verhörraum zur Startrampe in die Rückblendenvergangenheit instrumentalisiert. Überhaupt läuft der generalstabsmäßige Aktionismus der MI5-Agenten ins Leere. Warum die ganze Aufregung, fragt man sich, so viele Jahrzehnte später und im Angesicht einer alten Dame. In der Realität wurde das Verfahren tatsächlich eingestellt.

Womöglich liegt das erzählerische Dilemma aber auch darin, dass Joan Sawyer, die in Wirklichkeit Melita Norwood hieß und nicht als Physikerin, sondern als Sekretärin arbeitete, eben keine schillernde Mata Hari war, die ihr Land verraten wollte. Sie ist nicht mal eine junge Frau, die einem charismatischen, jungen Russen auf den Leim geht und sich von ihm Geheimnisse entlocken lässt, was auch damit zu haben könnte, dass er sie ein bisschen zu penetrant »my little comrade« nennt, wie überhaupt alle Charaktere zu sprunghaft und oberflächlich angelegt sind. Dass Joan zur Hochverräterin wird, ist quasi nur ein Nebeneffekt ihrer Absicht, die Welt zu retten. Unter dem Eindruck der Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki nimmt sie die Erkenntnis des Kalten Krieges vorweg, dass sich der Frieden nur durch ein Gleichgewicht des Schreckens bewahren lässt, und stellt es kurzerhand selber her. Aber auch das wirkt im Film leider nicht annähernd so klug, wie es gedacht ist, sondern fast ein bisschen naiv.

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