Nachruf: Michel Deville

13. 4. 1931 – 16. 2. 2023
Michel Deville

Michel Deville

Erzählerisches Risiko

All seine Filme, behauptete er im Nachhinein, habe er als Spiel betrachtet. Vermutlich stimmt das sogar und galt selbst für die ernsten unter ihnen. Ihn faszinierte das erzählerische Risiko, die Wette mit Strategie und Geschick. Würde es ihm gelingen, das Publikum zu verblüffen, obwohl es sich in vertrauten Genres wiederfand? Sein Feinsinn war unweigerlich mit von der Partie.

Michel Deville adaptierte, zunächst mit der Co-Autorin Nina Companeez und dann mit seiner Ehefrau Rosalinde, lauter Romane, die unverfilmbar waren. Er drehte einen Spionagefilm komplett in subjektiven Einstellungen (Ohne Datenschutz), was bedeutete, dass nur die Hälfte der Besetzung zu sehen war. Dafür braucht ein Regisseur schon Überzeugungskraft. Er drehte Zweipersonenstücke, die die strikte Einheit von Zeit, Raum und Handlung erotisch aufladen (Eine Sommernacht in der Stadt) und setzte raffiniert in Szene, welche Verführungskraft die Lektüre entfalten kann (Die Vorleserin).  

Devilles Regiekarriere begann zur gleichen Zeit, als die Nouvelle Vague anbrandete. Im Filmgeschäft arbeitete er sich jedoch auf traditionelle Weise hoch: als Regieassistent. Altmeister Henri Decoin nahm ihn nach einem hoffnungsvollen Bewerbungsschreiben unter seine Fittiche. Danach schwor er sich, jeden Brief zu beantworten, den er erhalten würde. Devilles frühe Liebeskomödien waren so aufgekratzt wie die von Philippe de ­Broca, aber eine gehörige Spur espritvoller und melancholischer; in ihnen steckte die Galanterie vergangener Epochen. Mit »Benjamin – Aus dem Tagebuch einer männlichen Jungfrau« feierte er 1968 seinen Durchbruch. Manipulation und Korrumpierbarkeit deklinierte er fortan in Komödien wie »Das wilde Schaf« und Kriminalfilmen wie »Gefahr im Verzug« oder »Sweetheart« durch. Devilles Filme schienen federleicht, aber ihr Publikum durchschaute sie. Mit dem leisen Meisterwerk Un monde presque paisible verabschiedete er sich 2002 allmählich von ihm. Es handelt von der Rückkehr ins Leben nach dem Holocaust: mit einer schwebenden Heiterkeit, die das Grauen nicht verleugnet.    

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