Interview: Ari Folman über »Wo ist Anne Frank«

Ari Folman © Farbfilm Verleih

Ari Folman © Farbfilm Verleih

Mr. Folman, was ist Ihr persönlicher Bezug zum Tagebuch der Anne Frank?

Ari Folman: Ehrlich gesagt hatte ich gar keinen. Ich habe es in der Schule gelesen, aber nur, weil das Pflichtlektüre war. Es ist nicht so, dass Anne Frank für uns Juden in Israel eine noch größere Ikone wäre als für den Rest der Welt. Erst als man mir den Film anbot, las ich es noch einmal – und war schockiert. Meine Kinder waren damals in einem ähnlichen Alter wie Anne Frank, als sie das Tagebuch verfasste, und ich konnte nicht begreifen, wie sie so etwas hatte zu Papier bringen können. Es ist ein wirklich beeindruckendes Werk. Und ehrlich gesagt staune ich noch immer darüber, selbst nachdem ich mich damit für die Graphic Novel, den Film und dann noch eine weitere Graphic Novel intensiv beschäftigt habe und sie so ein fester Bestandteil meines Lebens wurde.

Sie wollten den Film zuerst gar nicht drehen?

Nein, als mir die Familie von Anne Frank den Stoff anbot, lehnte ich zunächst ab, weil ich mir nicht sicher war, was ich dieser so oft erzählten Geschichte noch abgewinnen könnte. Aber wie gesagt: eine erneute Lektüre änderte das. Es stellte sich dann allerdings heraus, dass ich nicht der einzige war, der Bedenken hatte. Denn es war schier unmöglich, die Finanzierung für den Film auf die Beine zu stellen.

Dabei würde man denken, der Name Anne Frank sei ein Selbstläufer!

Ist er nicht. Ich unterschrieb den Vertrag für den Film 2013, der Plan war, dass wir 2017 in Cannes laufen. Doch erst 2018 konnten die ersten Animatoren mit der Arbeit beginnen. Ein kommerzieller Film über den Holocaust, das erschien den Produzenten unmöglich. Wie sollte eine solche Geschichte aussehen, damit Kids – und nicht zuletzt die Jungs – ihre Joysticks weglegen und ins Kino rennen, um einen Film über Anne Frank zu sehen? Die Graphic Novel wurde deswegen eher aus der Not geboren, als eine Art Test. Erst nachdem die sich über anderthalb Millionen Mal verkaufte und in 35 Sprachen übersetzt wurde, schien man auch in der Filmwelt überzeugt zu sein, dass das funktionieren kann.

Dass »Wo ist Anne Frank« gezielt auch Kinder anspricht, war Ihnen wichtig?

Ja, das war eine von drei Bedingungen, die ich stellte. Ich wollte den Film nur drehen, wenn er sich definitiv auch an Zehn- und Elfjährige richtet. Außerdem gehörte es für mich zwingend dazu, dass wir uns auch mit den letzten sieben Monaten in Annes Leben beschäftigen. Für viele Menschen ist sie schlicht ein Mädchen in Gefangenschaft bzw. das sich versteckt, ein fantastisches Tagebuch schreibt und dann eines Tages damit aufhört und stirbt. Weil ihre Zeit im Konzentrationslager im Tagebuch nicht vorkommt, kommt sie auch in den Geschichten über Anne meist nicht vor. Selbst aus George Stevens‘ eigentlich tollem Film von 1959 wurden diese bereits gedrehten Szenen wieder herausgeschnitten, weil Annes Vater Otto glaubte, das Publikum würde das nicht ertragen und der Film floppen. Doch für mich war eben auch dieses Ende ihres Lebens entscheidender Bestandteil der Geschichte. 

Und die dritte Bedingung?

Es war mir wichtig, einen Bogen zu schlagen zur heutigen Zeit. Das Drehbuch machte da einige Wandlungen durch. Das ursprüngliche Ende war deutlich radikaler: da ging es, basierend auf realen Erlebnissen eines bosnischen Mädchens in den 90er Jahren, um die Suche nach der »neuen Anne Frank«, die dann für einen TV-Auftritt nach Amsterdam geflogen wird, aber natürlich in die Heimat zurückkehren muss, um auch diesen Teil ihres Schicksals zu erfüllen. Die Flüchtlingskrise 2015 ließ mich dann umdenken und ich suchte nach etwas zarterem, hoffnungsvollerem. So entstand die Idee, dass Annes imaginäre Freundin Kitty zur Hüterin des Tagebuchs wird und es schließlich an ein Mädchen aus Zentralafrika weitergibt. 

War dieser Bezug zu unserer heutigen Realität die größte Herausforderung bei diesem Film?

Nein, ich fand es eher schwierig, Anne visuell zum Leben zu erwecken und als Animation zu stilisieren. Die ganze Welt weiß, wie sie aussah, deswegen hielten sich die künstlerischen Freiheiten da in Grenzen. Noch mehr Probleme bereitete mir allerdings die Szene im Konzentrationslager. Ich tue mich schwer damit, den Horror der Lager in Filmen abgebildet zu sehen. »Schindlers Liste« zum Beispiel, sicherlich ein wichtiger Film, fand ich diesbezüglich unerträglich. Son of Saul war für mich die einzige, unerwartete Ausnahme, wo ich die Umsetzung angemessen fand. Damit also habe ich bei »Wo ist Anne Frank« am meisten gerungen. Bis ich über den Bezug zur griechischen Mythologie einen Weg fand, der für mich funktionierte. Allerdings auch nur als Totale.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt