Interview: Don Hall und Qui Nguyen über »Strange World«

Don Hall und Qui Nguyen bei der Premiere von »Strange World« (2022). Foto: Jesse Grant/Getty Images. © Disney Enterprises, Inc.

Don Hall und Qui Nguyen bei der Premiere von »Strange World« (2022). Foto: Jesse Grant/Getty Images. © Disney Enterprises, Inc.

Mr. Hall, die Idee eine doppelte Vater-Sohn-Beziehung zu einem zentralen Moment der Geschichte zu machen, basiert auf Ihren eigenen Erfahrungen mit Ihrem Vater?

Hall: Das stimmt. Um 2017, als mir Gedanken darüber machte, was mein nächster Film sein sollte, fragte ich mich, was für eine Welt meine Kinder von mir erben würden und was für eine Welt ich von meinem Vater geerbt hatte. Ich wollte eine Geschichte über die Umwelt erzählen, gesehen durch die Augen von drei Generationen einer Familie. Meine eigene Geschichte ähnelt in gewisser Weise der von Ethan. Mein Vater besaß eine Farm und ich lernte früh, was da wichtig war. An einem gewissen Punkt, als ich ungefähr im selben Alter wie Ethan war, also 16 Jahre, begriff ich allerdings, dass das nichts für mich war. Ich fühlte, dass ich bei diesen Sachen nicht gut war, dass mein Herz nicht dabei war, dass ich eine Laufbahn im Bereich Animation anstreben wollte. Darüber hatte ich ein Gespräch mit meinem Vater, das nicht so dramatisch war wie das im Film – das ist ja, was mir tun: zu dramatisieren. Aber dies ist eine höchst persönliche Gecshichte für mich.

War Ihr eigener Nachwuchs 2017 im selben Alter, spielte das auch eine Rolle?

Hall: Das hatte ich schon aufgegeben, sie in der einen oder anderen Richtung zu beeinflussen – ich wusste, das würde nicht klappen, sie würden sowieso das Gegenteil von dem tun, was ich ihnen sagte. Mein ältester Sohn ist gerade aufs College gekommen, er möchte Tierarzt werden; mein jüngerer Sohn ist noch auf der Highschool, er ist ein Gamer und spielt Baseball, er hat zweifellos ein künstlerisches Talent, aber ich werde ihn nicht in eine Richtung drängen, dafür braucht es seine eigene Leidenschaft. 

Wie war das bei Ihnen, Herr Nguyen?

Nguyen: Die haben noch nicht das Alter von Ethan erreicht. Auch ich habe gelernt, sie da nicht in eine Richting zu drängen: 'Ihr müsst Martial Arts lernen! Ihr müsst Fußball spielen!' 

Sprechen Sie mit ihnen über Ihre kulturellen Wurzeln in Asien? Ist das ein wichtiges Thema?

Nguyen: Oh ja, das war einer der wichtigsten Gründe, warum ich »Raya und der letzte Drache« gemacht habe – Protagonisten zu schaffen, die aussehen wie sie. Eine vergleichbare Motivation lag auch »Strange World« zugrunde: dass der Generationenkonflikt, der Wunsch nach Ablösung von den Eltern, etwas ganz Natürliches ist und von den Eltern nicht als Angriff auf sie verstanden werden sollte. Und auch, dass ich jetzt verstehe, dass mein Vater das Beste für mich wollte, auch wenn ich das damals nicht immer ganz verstanden habe. Wenn sie mich jetzt attackieren, heißt das oft auch nur, dass sie wollen, ich solle als Vater mehr Zeit mit ihnen verbringen.

Wenn man eine fremde Welt, eine prähistorische Welt betritt, erwartet man in Kenntnis bestimmter Filme und Bücher, dort bestimmte Wesen zu sehen, speziell Dinosaurier. Sie haben dieser Versuchung widerstanden. Was hat Sie zu dieser Welt inspiriert? 

Hall: Ich habe zunächst einmal vieles erneut gelesen, etwa Jules Vernes »Reise zum Mittelpunkt der Erde«, Abenteuergeschichten von Sir Arthur Conan Doyle und Edgar Rice Burroughs. Was unsere Welt besonders machen sollte, war zum einen die Tatsache, dass sich dieses Environment lebendig anfühlen sollte, so dass wir verstehen könnten, wie lebendige Systeme miteinander verbunden sind. Diese Recherchen haben wir dann aber beisite gelegt und unseren Künstlern gesagt, dass sie ihrer Fantasie freien Lauf lassen sollten. Das war schon etwas Besonderes an diesem Film, aber ich hatte dabei vollstes Vertrauen zu ihnen, schließlich arbeite ich seit zwei Jahrzehnten mit ihnen zusammen. Die einzige Beschränkung war eigentlich bei der Farbpalette: die gedeckten Farben von Avalonia, Erdtöne, braun und grün, galt es in der anderen Welt zu vermeiden. Was die Lebewesen in der anderen Welt anbelangt, so konnten sich unsere Animatoren dabei frei entfalten, Sie sollten nicht unbedingt Augen oder Gesichter haben. Alles begann dann mit Platsch – ich habe eine große Vorliebe für Charaktere, die sich nicht durch Worte ausdrücken. Es sollte sich anfühlen, als ob in dieser Welt all die fremden Kreaturen einen Platz und eine Funktion haben – wie der Zuschauer am Ende des Film erkennt.

Gab es dabei je einen Moment, wo es zu der Überlegung kam: stellen wir uns vor, dies sind Charaktere, die unter Wasser leben? 

Hall: Wir hatten eine ganze Palette von Tierwelten, zu denen auch das Leben im Wasser gehörte: Geschöpfe, die sich wie ein Schwarm Fische vorwärts bewegten, aber auch solche, die eher an einen Vogelschwarm erinnerten. Wir hatten auch Figuren, die auf Saurieren basierten, aber auch solche, deren Modell eine Wurst war. Die Anweisung an die Animatoren war eher: 'seid seltsam!' – schließlich heißt der Film ja »Strange World«. 

Wohin führte denn der bei Disney- und Pixar-Filmen übliche field trip Sie diesmal?

Hall: Wir fuhren nach Washington, D.C., denn dort ist der Sitz von National Geographic. Sie haben dort ein jährliches Treffen, das sogenante Explorer Fest, bei dem Präsentationen von Feldstudien vorgestellt werden. Das war ziemlich inspirerend für uns, zudem wir uns auch noch mit einigen der Forscher unterhielten, um mehr über ihre Arbeit vor Ort zu erfahren. Ansonsten haben wir viele Experten hinzugezogen, von Klimaforschern über Mikrobiologen bis hin zu Paläontologen. 

Nguyen: Viele der Forscher sprachen darüber, wie bedroht unsere Welt heute ist, dass es mehr und mehr ein Teil ihrer Arbeit wird, dies einem großen Personenkreis zu vermitteln.

Am Ende treffen die Protagonisten des Films eine schwierige Entscheidung, was ihre bisherige Energieqelle Pando anbelangt. Wie wird die Zukunft aussehen? Nutzen sie eine Variante von Pando, die die 'strange world' nicht bedroht oder greifen sie auf ältere Energiequellen zurück?

Hall: Wir hatten am Ende des Films sehr wenig Zeit, das darzustellen. Tatsächlich schwebte uns eine Pferdekutschengesllschaft vor, wie Avalonia es vor der Entdeckung von Pando war. Sie haben nicht alle Probleme gelöst, aber einen Ansatz gefunden.

Auch zu der Zeit, wo Pando noch ihre zentrale Energiequelle ist, wirkte Avalonia auf mich wie eine agrarische Gesellschaft: man sieht keine Hochhäuser aus Glas und Stahl, wie sie sonst für futuristische Gesellschaften prägend sind.

Nguyen: Das ist richtig. Für uns war Pando auch eine Metapher für das, was bei uns lange die zentrale Energiequelle war, nämlich Öl. Wir sehen, dass es Menschen gibt, die an alternativen Energiequellen arbeiten, aber das passiert nicht immer im Herzen der Gesellschaft. 

Die Figur des Großvaters ist überlebensgroß, nicht nur wegen seiner ausgeprägten Armmuskeln, die mich an die Comicfigur Popeye erinnerten. Wegen seiner Macho-Attitüde war ich überrascht, dass er ohne Weiteres akzeptiert, dass sein Enkel schwul sein könnte. Er benutzt die Bezeichnung 'er', also hat er verstanden, dass es sich bei Ethans Freund um einen Jungen handelt.

Hall: Wir wollten eine Welt erschaffen, die das Andere akzeptiert. Offenbar ist Ethan schwul, aber er ist auch so vieles anderes – er ist impulsiv, emphatisch. Gerade diese Empathie ist es, die es erlaubt, dass Ethan die Öko-Botschaft des Films verkörpert. Wir haben alle Figuren aus den drei Generationen daraufhin abgeklopft, wie sie dazu stehen, Jaeger ist der klassische Abenteurertyp, überlebensgroß, ein Archetyp, für den es die Natur zu erobern gilt und der dabei keine Hindernisse akzeptiert, er hat den unbezwingbaren Willen; Searcher dagegen ist der Kontrollierende, das ist es, was Farmer tun, sie kontrollieren die Natur; Ethan schließlich wird zum Konservationisten, er lehrt die anderen, dass wir etwas bewahren müssen, dass wir uns um diesen Planeten kümmern müssen. 

Nguyen: Jaeger ist auch eine Hommage an unsere Großväter, die gegenüber unseren Ideen viel aufgeschlossener waren als unsere Väter. So tough Jaeger auch ist, ist er ganz aufgeregt darüber, seinen Enkel kennenzulernen.

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